Nun auch Karlsruhe gefährdet

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Stuttgart, 12/09/2002

Das kann ja heiter werden! Es endete die letzte Spielzeit mit dem Frankfurter Eklat und der Ankündigung von William Forsythe, Mitte 2004 der Mainmetropole den Rücken zu kehren. Inzwischen ereiferte sich die internationale Theater-Community über die Kündigung von Christoph Marthaler in Zürich. Und noch hat die neue Spielzeit nicht richtig begonnen, da schrillen bereits wieder die Alarmglocken: bei Andreas Homoki, dem designierten Intendanten der Komischen Oper in Berlin, der offenbar den Hals nicht voll genug kriegen kann und das Ballett gern aus seinem Haus herausklamottieren möchte, um mit dessen Etat ein paar zusätzliche Opernproduktionen zu sponsern – und bei Sascha Waltz, die sich mit leeren Versprechungen nicht länger hinhalten lassen will und ernsthaft an ihren Auszug aus der Schaubühne denkt.

Und nun also auch noch Karlsruhe, das neben Stuttgart die zweitstärkste Ballettkompanie des Landes Baden-Württemberg unterhält, und wo Pierre Wyss, der gerade seine erste Spielzeit als Ballettchef des Badischen Staatstheaters hinter sich gebracht hat, mitgeteilt hat, dass er seinen Vertrag vorzeitig zum Ende der Spielzeit 2002/03 beenden will, um sich anderen Aktivitäten zuzuwenden. Dabei hatte doch die neue Ballettära – nach gründlicher Vorbereitung – ausnehmend vielversprechend begonnen – mit der turbulenten „Zirkus Fellini“-Produktion, die förmlich übersprudelte von vitalem Elan, mit glänzenden Tänzerrollen – besonders für Lisi Grether, sicher eine der persönlichkeitsstärksten Ballerinen des deutschen Balletts heute, aber auch für all die anderen Tänzer der jungen Equipe.

Es ist wahr, mit den nachfolgenden Revivals seiner Braunschweiger Zeit hat Wyss dann diesen Standard nicht so ganz halten können. Dafür aber hat er Karlsruhe etwas gebracht, was es bisher in dieser Stadt überhaupt noch nicht gegeben hatte: eine szenische Aufführung der Bachschen „Johannes“-Passion in der Stadtkirche von einer Ernsthaftigkeit, Würde und Strenge, die sich ohne weiteres neben ähnlich ambitionierten Unternehmungen etwa von Neumeier, Freyer und Béjart behaupten konnte (von den allzu vielen herzlich überflüssigen Mozart-Requiems ganz zu schweigen). Sie stammte zwar nicht von Whyss, sondern von seinem brasilianischen Kollegen Antonio Gomes, gehört aber zweifellos zu den Top-Ereignissen der Spielzeit 2001/02 und wurde vom Publikum mit solcher Inbrunst aufgenommen, dass man sich gut vorstellen konnte, sie zu einem Festtermin im Karlsruher Osterkalender deklariert zu sehen.

Wyss und der neue Karlsruher Intendant (er kommt aus Wiesbaden und hat dort lange und erfolgreich mit Ben van Cauwenbergh zusammengearbeitet), haben sich mit Äußerungen über die eigentlichen Gründe dieser vorzeitigen Trennung sehr zurückgehalten. Ich habe den Eindruck, dass die Dinge in Karlsruhe vielleicht doch nicht so gut gelaufen sind, wie es Wyss von Braunschweig her gewohnt war und wie er es sich in der Zusammenarbeit mit Karlsruhes neuem Mann als neue Herausforderung erhofft hatte – ja dass er ein bisschen müde geworden ist nach all den Jahrzehnten der Knochenarbeit in der Provinz.

Und das stimmt mich traurig für ihn, der sicher zu unseren animierendsten Ballettmachern gehört, von seinem gediegenen Professionalismus ganz zu schweigen. Und noch etwas Anderes stimmt mich traurig, zu sehen, wie ein solcher Abgang eines verdienten Ballettmanns so gar keine öffentliche Reaktion mehr hervorruft. Man muss ihn ja nicht gleich mit Marthaler vergleichen – aber Karlsruhe ruft einem schmerzlich ins Bewusstsein, wie gering der Stellenwert des Balletts noch immer bei uns in Deutschland ist.

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