Keramikpüppchen im Dinopark

Das Bayerische Staatsballett möbelt seinen Teshigawara/Forsythe-Abend neu auf

München, 28/05/2003

So langsam scheint sich das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts auch im zeitgenössischen Ballettidiom zuhause zu fühlen. Vor allem junge Tänzerinnen, die in klassischen Produktionen irgendwo im Corps versteckt sind, blühen im neu aufgemöbelten Teshigawara/Forsythe-Abend von 1999 regelrecht auf. Dennoch: Teshigawaras „Sacre“, an dem er in den vergangenen Wochen noch einmal kräftig gefeilt hat, ist allenfalls ein spannendes Unterfangen für die Company - zum Dauerbrenner im Repertoire taugt sein Stück immer noch nicht.

Zu diffus bleiben des Japaners Ideen zur schwermütig-slawischen Melodramatik von Strawinskys Komposition. Der Gegensatz von Teshigawaras selbst entworfenen schwarzen Plüsch-Godzilla-Kostümen der Männer und den sexy weißen Modeknappheiten der Frauen, die sich später auch mal aus weißen Saunabademänteln schälen, evozieren nicht mehr als die allzu naheliegende Opposition von Archaischem und Gegenwärtigem. Der Kontrast der Frau und der Gruppe gerät, wo dieses „Sacre“ von jedem Handlungsmoment befreit ist, zum abstrakten dramaturgischen Versatzstück.

Auch die Choreografie bleibt trotz intensivem Stampfen, peitschenden Zuckungen und fernöstlicher Meditationsgestik kaum mehr als eine mitunter hochenergetische Exposition, die allerdings nirgendwo hinführt. So sehr die ausgefeilten visuellen Körpereffekte, die völlig verdrehten und verbogenen Körperachsen der Tänzer, die wirkungsvolle Verweigerung der Synchronität immer mal wieder beeindrucken - wenn sich Teshigawara gerade in den aufregendsten Momente in die reine Bebilderung der expressiven musikalischen Gesten flüchtet, verschenkt er jedes dramaturgische Potenzial, das in seiner Choreografie schlummert. Wenigstens bewegen sich die Tänzer inzwischen wie selbstverständlich durch seine automatenhafte Körpersprache, allen voran Amilcar Moret Gonzalez, der den obligatorischen Teshi-Doppelgänger abgeben darf, und Sherelle Charge. In den kontrastiv gesetzten, weich schlängelnden Bewegungen ihres langen Solos irrlichtert sie auf ein wenig irritierende Weise mit Pina Bausch´scher Tanztheater-Innerlichkeit durch Teshigawaras reißbretthafte Tanz-Installation. Die taugt trotz aller Zitate und Anspielungen als postmodern dekonstruiertes „Sacre über Sacre“ am allerwenigsten.

Nun der Opener des dreiteiligen Abends, ist es immerhin weder das reichlich nervenzehrende Finale von damals noch die unsägliche Freakshow von Teshigawaras hauseigener letztjähriger Tournee-Enttäuschung namens „Luminous“ aber auch in der renovierten Version bleibt sein „Frühlingsopfer“ meilenweit von den atemraubenden Soli entfernt, für die man Saburo Teshigawara liebt. Wo dem die beiden Forsythe-Ausschnitte gegenüberstehen, wird nicht zuletzt der grundverschiedene Ansatz der Choreografen überdeutlich greifbar: Der eine mörtelt optische Raumarchitekturen mit Körperbausteinen, der andere definiert den Raum allein aus den Körpern heraus. Das gelbe „Artifact II“ und das graue „second detail“ sind gleichsam Echos und Zerrspiegel (neo)klassischer Balletttraditionen. Sumpfiges Chaos, geometrisch-klare Ordnung und natürlich Theater stehen munter neben- und ineinander verschachtelt. Wo das unterschwellige Augenzwinkern Forsythes immer auf der Kippe zu fieser Parodie balanciert, sind tatsächlich die beflissenen Solisten des Münchner Ensembles die kongeniale Besetzung: Gerade wenn Lisa-Maree Cullum in Forsythes fabelhafter Welt der zweiten Details plötzlich die keramikpüppchenhafte Aufziehballerina tanzt, lebt das Stück auch nach mehr als zehn Jahren als herrlich subtile Ballettsubversion von Innen.

Ärgernis des Abends hingegen einmal mehr die Konserven-Musik zu den Forsythe-Stücken: Nicht dass Tonband-Einspielungen an sich ein Frevel wären, aber wo eine dumpfdösige Operntonanlage von jedem Heimstereoplayer aus dem Supermarkt geschlagen wird, gilt es endlich ein Problem zu lösen.


Weitere Aufführungen: 6., 9. und 13. Juni, Nationaltheater München

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