Viel Schatten, viel Licht

Ein doch nicht ganz wortloser Ballettabend an der Berliner Lindenoper

Berlin, 03/05/2003

Neidvoll spricht er in einer Berliner Zeitung von den paradiesischen Zuständen in Stuttgart, wo das Ballett vier oder fünf Uraufführungen pro Saison herausbringt: Vladimir Malakhov leitet seit dieser Spielzeit das Ballett der Staatsoper Unter den Linden, kämpft gegen zu wenige Aufführungen und die allgemeine Ballett-Unlust der Bundeshauptstadt. Aber seit er da ist, scheint er immerhin beim Publikum einen gewissen Enthusiasmus neu entfacht zu haben. Die einzige echte Novität seiner ersten Spielzeit, eine Uraufführung des Stuttgarter Choreografen Christian Spuck, wird von einem fünf Jahre alten Nacho-Duato-Werk und einem Balanchine-Klassiker umrahmt. Nach dem Namen von Duatos Stück trägt der ganze Abend den Titel „without words“ - wobei für die beiden modernen, in modisches Dunkel gehüllten Ballette auch „without light“ gut gepasst hätte.

Zu sechs Schubertliedern, bei denen ein Cello die Gesangsstimme ersetzt, reiht Duato Pas de deux, Pas de trois und Soli aneinander, in denen sich der spanische Starchoreograf nie recht entscheiden kann, ob er nun mit oder gegen Schubert arbeitet. Wohl sieht das alles fließend und weich aus, aber die Tänzer bewegen sich hektisch und ruhelos, scheinbar ohne Bezug auf die jeweiligen Liedtexte, sind ständig in Bewegung. Mehr noch als später im klassischen Stil von Balanchine stiehlt Malakhov seinen Tänzern hier die Schau: mit seiner Geschmeidigkeit, seiner Prägnanz, der ungemein musikalischen und doch ganz persönlich gefärbten Phrasierung. Was für ein Jammer, dass er immer noch lieber zum hundersten Mal „Schwanensee“ tanzt statt moderne Choreografien.

Wortlosigkeit hin, Auftragswerk her: Christian Spuck lässt sich den Text nicht verbieten. Neben zehn hervorragenden Tänzern beschäftigt auch „this - „ (wobei der Gedankenstrich eine leere Stelle, ein nicht geäußertes Wort meint) wieder einen Komponisten und einen Dramaturgen, versammelt das inzwischen bekannte Repertoire aus englischem Titel, Sprachfetzen, schummrigem Licht und schwarzen Stellwänden. Laut Programmheft - was täten wir ohne - thematisiert Spuck „das Problem, sich verständlich zu machen“. Indem er zeigt, wie es nicht klappt? Mystisch munkelt Beckett aus dem Off, zwischen Anton Weberns Fünf Sätzen op. 5 lässt Arne Vierck elektronisches Rauschen wabern, und doch scheint der Tanz kaum auf die Musik zu reagieren, die eigentlich nur parallel, fast wie ein Soundtrack zum Ballett abläuft. Der Vergleich mit Kyliáns hochmusikalischem „No More Play“, den diese Uraufführung durch die Verwendung derselben Musik herausfordert, fällt eindeutig aus. Spucks Ästhetik scheint zwar symmetrischer orientiert als bisher, gleichzeitig offenbart er eine erschreckende Einfallsarmut, etwa mit den immergleichen Sprüngen. Das tänzerische Grundmaterial von „this - „ besteht aus gern gesehenen modernen Versatzstücken wie der zum Vertikal-Spagat hochgeschleuderten Arabesque oder dem im Laufen eingefrorenen, auf den Rücken gekippten Menschen. Und während man sich noch fragt, ob das nun ein eigener Stil oder einfach immer das Gleiche ist, erscheinen am Schluss die fünf Herren in ihren Schuhen am Boden angewurzelt, wie es Spuck einst bei Marco Santi in „The Tears of Niobe“ selbst ausgeführt hat. Noch immer wartet man beim Stuttgarter Hauschoreografen nach seinen anfänglichen Erfolgen auf eine weitere Entwicklungsstufe, auf eine neue Idee - auf ein Ballett, das nicht aufgreift, zitiert oder wiederholt.

Das Gegenprogramm zur dunklen Innenschau liefern funkelnde Tutus und glitzernde Krönchen: George Balanchines „Ballet Imperial“ aus dem Jahr 1941, getanzt in einer späteren Version aus dem Jahr 1964, ist ein großes klassisches Divertissement nach Petipascher Manier mit einer hierarchisch aufgebauten Ordnung aus drei Solisten, Demi-Soli und dem Corps. Zu Tschaikowskys zweitem Klavierkonzert (Sebastian Weigl dirigiert die Staatskapelle mit Saleem Abboud Ashkar am Klavier) fängt das Linden-Ballett zwar hervorragend trainiert, aber etwas zaghaft an und lässt das energiesprühende Draufgängertum vermissen, mit dem Balanchine in Amerika getanzt wird - deutsche Qualitätsarbeit statt New Yorker Chuzpe, sozusagen.

Später sehen vor allem die Damen exzellent aus, wenn auch Solistin Corinne Verdeil nicht unbedingt die typische Balanchine-Tänzerin ist. Neben dem nachdenklichen Prinzen Malakhov zieht Diana Vishneva triumphierend und makellos ihre Bahnen, wiewohl sie eine Ballerina mit der Neigung ist, eher sich selbst als das Stück zu zelebrieren. Vielleicht würde das „kaiserliche Ballett“ durch etwas Spontaneität und Wärme statt diesem kühlen Funkeln nicht wie ein brillantes Kunststück aus vergangener Zeit wirken, sondern wie die Apotheose des Tanzes, die Berlin so dringend braucht.

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