„Ich tanze, was in meinem Inneren passiert.“
„Endstation Sehnsucht“ – ein Gespräch mit Maria Eichwald über ihre Rolle als Blanche Du Bois
Keine Endstation für die Stuttgarter „Endstation Sehnsucht“ nachdem der Ferri-Transalpin abgefahren ist! Es ist eins von John Neumeiers besten Balletten – und ein Juwel des Stuttgarter Repertoires (zusammen mit Robbins‘ „Dances at a Gathering“, die wir leider in dieser Spielzeit entbehren müssen). Die Leute stürmen die Vorstellungen – und das zu Recht. Wie geschickt Neumeier die verschiedenen dramaturgischen Ebenen verschränkt hat, geht einem erst bei mehrmaligen Sehen auf.
Jetzt also die zweite Besetzung der Wiederaufnahme – mit Bridget Breiner als Blanche du Bois, Jiri Jelinek als Stanley Kowalski, Sarah Grether als Stella, Douglas Lee als Mitch, Filip Barankiewicz als Allan Gray und Damiano Pettenella als einer der drei Lüstlinge im Bordell (die insgesamt an Profil gewonnen haben). Der eindeutige Gewinn ist Douglas Lee als Mitch, durch den die Rolle ihre Vladimir-Klos-Qualität zurückgewonnen hat. Erst jetzt wird uns bewusst, wie sehr wir Lee die langen Monate vermisst haben. Sein großer Pas de deux mit Stella ist der einzige reale Glücksmoment des Balletts – wie wenn die beiden die Sterne vom Himmel herunterholen wollten!
Wenn Ferri als Blanche eher aus dem italienischen Fin-de-siècle-Ästhetizismus d‘Annunzios kam, so rückt Breiner das Stück wieder näher an Tennessee Williams heran, der für ein Theater zum „Sehen und Fühlen“ plädierte: „Die Farben, die Grazie und das Schweben, das intime Zusammenspiel von Menschen – diese Dinge sind das Stück, nicht Gedanken und Ideen eines Autors.“ Genau das scheint Neumeiers Vision gewesen zu sein, als er sich vornahm, aus dem Schauspiel ein Ballett zu machen. Breiner injiziert dem Ballett bei aller Neurotik und Dekadenz einen Schuss handfesten Realismus, weniger Südstaaten-Degeneration als nordstaatlichen Pragmatismus – was sie nicht daran hindert, sich in den wundersamsten lyrischen Träumen zu verlieren. Sie ist nicht so gläsern-fragil-febril wie Ferri (die hier gleichsam die „Glasmenagerie“ mitspielt), aber auch sie ist eine Gejagte, die vergeblich versucht, den Gespenstern ihrer Vergangenheit zu entfliehen.
Jelinek als Stanley Kowalski: ihm fehlt das Animalische, elementar Triebhafte, die physisch überwältigende Brutalität – er ist zu brav, und das färbt auch auf Sarah Grether als Stella ab (beginnt jetzt auch in Stuttgart sich eine Tänzerfamilien-Tradition auszubilden? Schließlich kreierte Lisi Grether die Rolle bei der Uraufführung vor zwanzig Jahren), die weit weniger als Katja Wünsche Stolz und schiere Lust an der physischen Potenz ihres Mannes und seinem superben muskulären Bodystyling zeigt. Auch Filip Barankiewicz als Allan Gray muss sein Rollenprofil noch individueller ausprägen – wie es Marijn Rademaker als sein Freund vorführt, der seit der Premiere beträchtlich an Charakterschärfe gewonnen hat.
Diese „Endstation“ jagt auch in ihrer neuen Besetzung wie ein Mahlstrom über die Bühne – und verdeutlicht so die Defizite von Spucks „Lulu“ hinsichtlich ihrer Rollengenauigkeit und Milieudichte. Ich wüsste derzeit kein Ballett im Repertoire einer unserer Opernkompanien zu nennen, das eine derartig hochgespannte Dramatik erzeugt wie Neumeiers „Endstation Sehnsucht“.
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