Meisterhafte Formationen
Gastspiel des Het Nationale Ballet der Niederlande in Hamburg
Nach Gastspielen von Michail Baryschnikow und Mathilde Monnier wurde die kleine, aber exklusive und hochinteressante Tanzreihe das Heilbronner Theaters mit dem Niederländischen Nationalballetts aus Amsterdam beschlossen (oder für den internationalen Gebrauch: des Dutch National Ballet). Hollands große klassische Ballett-Kompanie führt, als Gegenpol zum NDT, neben modernen Stücken auch Handlungsballette wie „Schwanensee“ und „Dornröschen“ im Repertoire – und, neuerdings leider ebenfalls im Gegensatz zum NDT, viele Werke des niederländischen Altmeisters Hans van Manen. Zwei seiner älteren Stücke umrahmten bei diesem dreiteiligen Abend ein neues Stück des britischen Tänzers David Dawson, der auch im nächsten Jahr wieder für seine ehemalige Kompanie choreografieren wird.
Aus dem Jahr 1973 stammt der van-Manen-Klassiker „Adagio Hammerklavier“ – und wirkt so viel akademischer und apollinischer im Duktus als die zwei Jahre zuvor entstandene „Große Fuge“, van Manens erstes Beethoven-Ballett. Statt erotischer Spannung herrscht hier eher Respekt zwischen Männern und Frauen, statt Aggression eine noble Ruhe. Sie strahlten mit minutiöser Phrasierung und innerer Spannung, vor allem aber unglaublich synchron die drei Paare Natalia Hoffmann – Tamás Nagy, Sabine Chaland – Altin Alexandros Kaftira und Larissa Lezhnina – Gaël Lambiotte aus.
Hingebungsvoll getanzt wurde auch in „The Grey Area“ von David Dawson – einer der typischen Fälle, wo das Stück vor allem durch die Qualität seiner Interpreten wirkt. Zu kaum wechselnden, elegischen Streicherharmonien von Niels Lanz bewegen sich fünf Tänzer durch den grau verhängten Bühnenraum – mal die drei Frauen parallel und die zwei Männer anders, mal in Soli, mal als Pas de deux, in einem mittelschnellen Tempo ohne jedes Innehalten und ohne jeden dynamischen Wechsel. Das Vokabular ist die heutzutage derart beliebte Mischung aus entschärftem Forsythe und klassischer Grundlage, dass man unmöglich sagen könnte, an wen einen der Stil erinnert – zu viele Choreografen arbeiten schon in diesem Schritt-Esperanto. Am stärksten fällt dabei, gerade im Gegensatz zu Hans van Manen, der völlige Mangel an Struktur und Dynamik auf; immerhin steigert sich mit der Lautstärke der Musik auch die Hektik auf der Bühne, aber ob das schon fürs Prädikat „musikalisch“ reicht? Dass Dawson für dieses Werk vor zwei Jahren den Prix Benois bekommen hat, macht den russischen „Ballett-Oscar“ nicht unbedingt glaubwürdiger.
Hans van Manens „Live“ aus dem Jahr 1979 gilt als das erste Videoballett der Tanzgeschichte – der Meister des abstrakten Balletts wird hier romantisch, unterlegt dem Spiel mit dem (damals) neuen Medium eine Liebesgeschichte. Kameramann Henk van Dijk, der Lebensgefährte des Choreografen, filmt als erste „Live“-Einstellung verschämt lächelnde Zuschauer in den ersten Reihen und projiziert sie in Großaufnahme auf die Leinwand im Bühnenhintergrund. Bis er besseres Material bekommt: die Tänzerin Igone de Jongh. In ihr schönes Gesicht verliebt sich die Kamera, folgt ihr bei ihren verspielten Ballerinen-Runden um die Bühne, zoomt in Großaufnahme auf ihre Hand, auf den Spitzenschuh – bis de Jongh schließlich die Leinwand als ihren Spiegel akzeptiert und mit der Kamera flirtet. Dann eilt ein Mann über die Bühne und verlässt den Theatersaal durch eine der hintersten Türen. Sie folgt ihm, die Kamera folgt ihr, und dann bekommen wir auf der Leinwand einen Pas de deux aus dem leeren Theaterfoyer übertragen – eine Dokumentation aus der Ferne, ein schwarzweiß-stilisiertes Kunstwerk zu eleganter Liszt-Musik. Es folgt, nach ihrer Rückkehr in den Saal, als Filmeinspielung ein Flashback aus dem Ballettsaal: ein weiterer Pas de deux, bei dem aber die Geräusche der Tänzer extrem laut verstärkt werden – das Quietschen der Drehungen, das Knallen der Spitzenschuhe auf dem Boden.
Einerseits klingt es witzig, wenn der Tanz die Stille und damit die Magie der Leichtigkeit verliert, andererseits gewinnt er so furiose neue Deutungsebenen, etwa das Keuchen der Tänzer zwischen Zweikampf und Liebesspiel. Alles ist hier mehrdeutig und ambivalent, van Manen setzt die Möglichkeiten der Video-Übertragung nicht einfach als eindimensionalen technischen Gimmick ein, als bildhafte Ergänzung im Hintergrund, sondern er gewinnt ihr neue, zutiefst theatralische Möglichkeiten ab. Hätten manche heutige Video-Ballettkünstler doch etwas davon gelernt. Zum Schluss folgt Igone de Jongh ihrem entflohenen Liebsten (Nicolas Rapaic) hinaus auf die Straße vor dem Theater, wo wir sie in der Menge aus den Augen verlieren. Großer Jubel für den anwesenden Hans van Manen und die Tänzer von Het Nationale.
Premiere am 25.6.2004, das Gastspiel dauert noch bis zum 29. Juni. Link: www.theater-heilbronn.de
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