Broadwaytraum in Beige

„Charlies Kreuzfahrt“ beim Ballett Chemnitz

Chemnitz, 18/03/2005

Die Story ist echt. 1924 lud der New Yorker Medienzar William Randolph Hearst zu einer Kreuzfahrt auf seiner Luxusyacht, an der - entgegen seiner eigenen späteren Aussage - auch Charles Chaplin teilgenommen und sich in einen Flirt mit Hearsts Geliebter verstrickt haben soll. Ein Toter trübt kurzeitig die Partylaune. Erschossen, vergiftet, einer Herzattacke erlegen? Am eisigen Schweigen der Kreuzfahrer scheitert jede Aufklärung, und bis heute liest sich jene Episode in den Memoiren der Beteiligten extrem konträr. Fest steht einzig, dass seit diesem schwimmenden Fest die (angeblich nicht anwesende) Journalistin Louella Parsons zu einer der führenden Klatschkolumnistinnen der Hearst-Presse aufgestiegen ist. Der Nebel des Ungewissen wallt über der Szene - ein Stoff also für den Film (von 2000) und nun auch den Tanz. Torsten Händler, Ballettchef in Chemnitz, lud den hochgelobten kanadischen Jungchoreografen Peter Quanz ein, eine Uraufführung zu entwerfen. So entstand in mehrjähriger Zusammenarbeit mit dem Arrangeur Tadeusz Biernacki, Musikdirektor in Winnipeg, und dem namhaften Schweizer Ausstatter Thomas Pekny als Weltneuheit „Charlies Kreuzfahrt“.

Quanz verdichtet die widersprüchliche Faktenlage zu seiner eigenen Lesart ohne Anspruch auf historische Authentizität und deshalb mit dem Gewinn künstlerischer Freiheit. Bei ihm, wer ließe sich das auch entgehen, ist Charlie freilich Passagier der Partypassage und Louella karrieregierige Beobachterin des Geschehens. Hearsts Geliebte Marion verfällt handgreiflich Chaplins Charme. Als alle Versuche, die beiden durch Bestechung oder Drohung zu trennen, scheitern, schießt der Gastgeber - und trifft den Falschen, jenen nämlich, der sich Marion im Spaß mit Charlies liegengelassener Melone nähert.

Die Romanze des begnadeten Komikers und der Filmdiva von einst endet bittersüß: Charlie verlässt den Dampfer, während dort die Charleston-Stimmung ihrem Höhepunkt entgegensiedet. Pekny baut für die Geschichte einen transparenten, leuchtend weißen, von einem blauen Band eingefassten Schiffsrumpf mit mehreren Etagen als Handlungsort. Wenn die Bühne sich dreht, gibt sie das geräumige Deckhalbrund als Partyzone, Liebesnest und Dramenplatz frei. Jene Leichtigkeit, die diese ideale Dekoration suggeriert, bedient die Choreografie bestens. Zu eigens umorchestrierten, von der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz mit Schmiss musizierten Cole-Porter-Songs lebt das Amerika der 1920er mit seiner durch Prohibition eingeschränkten Vergnügungssucht auf.

Man unterhält sich trefflich bei all den Gruppen- und Soloeskapaden im Stil jener Jahre und auf streng klassischer Basis, man genießt die effektvollen Auftritte über die beidseitig angeordneten Showtreppen, die flotte Inszenierung von leichter Fließbarkeit. Charlie zeigt als provokantes Spiel im Spiel eine Menage à trois, wie sie sich dann wirklich ereignet, und stachelt so die Eifersucht an, die sich in gelungenen Dreierkonstellationen entlädt. Als eleganter Broadwaytraum im Beige der aparten Kostüme laufen die zwei Uraufführungsteile des kruden Korruptionsdramas ab und finden den Applaus des Premierenpublikums, bleiben indes trotz manchem Witz sarkastische, gesellschaftskritische Töne schuldig. Die Welt hat wieder einen Ballettkrimi. Ob sich ihm die Tore der Tanzwelt öffnen werden, bleibt abzuwarten. Béjarts „Le concours“ jedenfalls bleibt unerreicht.

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