Beachtliche Hamburger Debüts
John Neumeiers Klassiker in neuer Interpretation
„Einen großen Teil meiner Arbeit verwende ich darauf, die Leute dazu zu bekommen, sich auf sich selbst zu konzentrieren und die Stille zu finden. Das Geheimnis des Tanzes ist die Stille. Auch die Musik beginnt mit der Stille“, so der großartige Choreograf und Mentor für das 1. Tanzprojekt Royston Maldoom. Begleitet von den engagierten Berliner Philharmonikern kreierte er 2003 bildmächtig mit seinem Team erstmals mit 250 Kindern und Jugendlichen aus Berliner Grund- und Hauptschulen Strawinskys „Frühlingsopfer“. Dieses erste Education-Projekt der Berliner Philharmoniker unter Leitung ihres neuen Chefdirigenten Sir Simon Rattle markierte den Aufbruch in eine neue Ära. Seither gehen die Musiker in Musik- und Tanzprojekten neue Partnerschaften ein und tragen ihre Meisterschaft programmatisch in gesellschaftliche Räume außerhalb des Konzertsaals. Der für den Deutschen Filmpreis nominierte Film „Rhythm is it“ (von Thomas Grube/Sánchez Lansch, 2004) hat dieses schöpferische Musik-Tanz-Wunder mittlerweile vielen Begeisterten Zuschauern nahe gebracht.
Am vergangenen Wochenende ereignete sich zweimal das Wunder „Feuervogel“ in der ausverkauften Treptower arena, dem alten Busdepot am Osthafen in Berlin. Unvergleichlich die Atmosphäre: Keine Hustenattacken, kein Räuspern zerstört die gespannte Aufmerksamkeit der tausend Zuschauer, die dem magischen Geschehen, hervorgezaubert von mehr als zweihundert Mitwirkenden - allesamt Laien - auf der von vier Seiten begehbaren und sinnvoll beleuchteten Breitwandbühne, mit Interesse folgen. Aus der Stille kriechen die tiefen Klänge der Streicher und Posaunen und die verzauberte Erde belebt sich mit Mächten des Guten und Bösen. Wie aus ferner Zeit erscheinen weißgekleidete Menschen, unbeweglich hockend.
Junge Leute rennen von allen Seiten herein. Mit gereckten Armen gleiten sie an den aufrecht stehenden Ahnen zu Boden, während der gesichtlose Zauberer Kaschtschei mit seinen Bütteln aus der Tiefe aufmarschiert und in sie abtaucht. Bezaubert folgen die Irdischen dem Tanz des verführerischen Feuervogels, der auch den Jäger Iwan fasziniert. Wenn eine Schar junger Feuervögel in Orange übermütig umherwirbelt, schmunzelt das gleichfalls verzauberte Publikum. Sie kreisen und bilden mit dem großen Vogel einen wogenden Riesenflügel. Musik, Bewegung und Farbe fügen sich zu einem Reigen spannender Bilder, die im Märchenhaften soziale Verbindlichkeit gewinnen. Der fröhliche Tanz von vierzig jungen Mädchen, barfuss in schwingenden Kleidern, gefriert, wenn die Büttel Katscheis eine Reihe von gefangenen Mädchen vorführen.
Gefährdete Welt. Nach dem großen Gruppenkampf der Jäger Iwans, die für das Gute streiten wollen, aber zunächst den Feuervogel triumphierend mit sich tragen, folgt Stille. In diese Zäsur der Nachdenklichkeit kommen die Alten mit den kleinen Feuervögeln (russische Volksweise). Paare, die Vergangenheit und Zukunft in sich zu tragen scheinen (Grundschüler aus Mahrzahn und Berliner Senioren Hand in Hand!). Von den Seitenflächen beobachten sie das einfühlsame Duett von Iwan und seiner Liebsten. Brutal reißen Häscher das Paar auseinander. Verloren scheint das Mädchen, beider Liebe ohne Zukunft. Feuervogel und Kaschtschei stehen einander auf Podesten gegenüber. Zu ihren Füßen tobt der Kampf. Die Marschierenden Kaschtscheis finden ihr Ende, wenn der Feuervogel sie zur Tanzekstase treibt, die alle zusammensinken lässt. Die Alten gehen durch dieses Totenfeld und die Gefangenen Mädchen gewinnen ihre Freiheit. Der Zauberer wird gefangen. Im Finale feiern die Menschen das junge Paar und den Feuervogel - wellenartig setzen sie selbst zu Flugbewegungen an.
Strawinskys Einakter zaubert mit flirrenden Klangfarben und rhythmischer Energie eine höchst universelle Geschichte vom ewigen Kampf der Sterblichen gegen die unsterblichen Mächte des Bösen. Die englischen Choreografinnen Susannah Broughton (Co-Choreografin von Royston Maldoom für „Sacre“ und „Daphnis et Chloé“) und Tara-Jane Herbert haben das Märchen mit wichtigen neuen Akzenten inszeniert. Schülerinnen und Schülern der Bruno-Bettelheim-Grundschule Marzahn, der Eberhard-Klein-, Friedrich-Ludwig-Jahn- und Hermann-Hesse-Oberschule aus Kreuzberg, der Jugendtanzgruppe Faster-Than-Light-Dance-Company aus dem Märkischen Viertel, Elly´s Dance School Grunewald sowie erstmals eine Gruppe von tanzbegeisterten Berliner Senioren gewinnen tanzend Ensemblequalität durch Engagement, Musikalität und Ausdruckskraft. Studenten der Kostümbildklasse der Universität der Künste haben erneut wirkungsvolle Entwürfe kreiert, die erstmals von sechs elften Klassen des Oberstufenzentrums Bekleidung und Mode Kreuzberg produziert wurden. Künstlerische Netzwerke, die Kreativität nachhaltig fördern.
Eine Woge der Begeisterung begrüßte Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker; sie brandete am Schluss erneut auf und schloss alle Akteure und das künstlerische Leitungsteam ein. Die Erwartung an das 4.Tanzprojekt in der nächsten Spielzeit steigt damit gewaltig.
Zukunft@Bphil - Das Education-Programm der Berliner Philharmoniker
Musikprojekt 23 am 28. April 2005, 18.30 Träumende Gärten, Foyer Philharmonie
Musikprojekt 24 am 18. Juni 2005, 15.00 Uhr Reineke Fuchs, Künstlerhof Berlin-Buch
Kartenbestellung 030-25488-999
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