Kostümfest im Palais Garnier
Saisonbeginn an der Pariser Oper mit Lifar und Ratmansky
Zum hundertsten Geburtstag von Serge Lifar
Ein bildschöner Achtzehnjähriger, kam er mit seiner Lehrerin Bronislava Nijinska direkt von der Schule in Kiew 1923 zu Diaghilews Ballets Russes – ein Senkrechtstarter in jeder Beziehung: Serge Michailowitsch Serdkin alias Serge Lifar. Seinen tänzerischen Virtuositäts-Feinschliff holte er sich bei Enrico Cecchetti. Das Übrige besorgten seine splendide physische Kondition, sein Charisma und seine Intelligenz. Bereits 1925 wurde er als Nachfolger von Anatol Vilzak Erster Solist. Ein Besessener, arbeitete er weiter an seiner Technik, studierte mit Vera Trefilova, Lubov Egorova und Nikolai Legat und avancierte, als Anton Dolin die Kompanie verließ, zum Startänzer der Ballets Russes, als der er Hauptrollen in Nijinskas „Les Facheux“ und „Le Train bleu“, Leonide Massines „Zéphire et Flore“, „Les Matelots“, „Pas d'acier“ und „Ode“ kreierte sowie in George Balanchines „Barabau“, „La Chatte“, „Apollon musagète“, „Le Bal“ und „Der verlorene Sohn“.
1929 debütierte er als Choreograf mit einer neuen Version von Strawinskys „Renard“. Als Liebhaber Diaghilews konkurrierte er mit Boris Kochno, seinem Sekretär, und beide stürzten sich 1929 bei der Beerdigung Diaghilews in dessen offenes Grab. Nach Diaghilews Tod und der Auflösung der Ballets Russes wurde er Ballettdirektor der Pariser Opéra und war gleichzeitig deren Chefchoreograf und Danseur étoile – bis 1945. Während dieser Zeit reorganisierte er den Ballettbetrieb des Hauses von Grund auf, etablierte den Mittwoch als Jour fix des Balletts, sorgte für eine enorme Qualifizierung des technischen und künstlerischen Standards der Kompanie und choreografierte eine Unzahl von Balletten – oft in enger Zusammenarbeit mit den führenden Komponisten und bildenden Künstlern, in denen er zumeist selbst die männliche Hauptrolle tanzte. Unermüdlich publizierte er Schriften und Bücher über die Technik und Ästhetik des Balletts, tanzte als Gast bei Galas in Frankreich und im Ausland, war ein viel begehrter Lehrer und Jury-Mitglied bei internationalen Wettbewerben und in jeder Beziehung eine Starpersönlichkeit auf dem gesellschaftlichen Parkett. Während der Besatzung von Paris fraternisierte er mit den Deutschen, was ihm nach 1945 den Vorwurf der Kollaboration einbrachte und das Ende seiner absolutistischen Stellung bedeutete.
Daraufhin zog er sich an die Côte d'azur zurück, wo er das Nouveau Ballet de Monte Carlo gründete, weiterhin ein Ballett nach dem anderen choreografierte, immer wieder auch in Paris auftauchte, häufig auch im Ausland arbeitete (auch in Berlin), seine eigene Université de la Danse gründete, die mit zahlreichen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit trat, Symposien und Wettbewerbe organisierte und Preise und akademische Auszeichnungen verlieh: ein unermüdlicher Busybody und Charmeur bis zu seinem Tod am 15. Dezember 1986 in Lausanne. Unbestreibar sind seine Verdienste um das Ballett in Frankreich und besonders um das Ballett der Opéra. Paul Valéry attestierte ihm: „Die Seele des Tanzes wohnt in ihm. Er ist ein zu großer Künstler und ein seiner Sache zu sicherer Kreateur, um nicht eine extrem klare und breite Vorstellung vom Wesen seiner Kunst zu haben.“
Von seinen Dutzenden von Balletten überlebt heute nur noch die 1943 kreierte „Suite en blanc“, ein großes Divertissement als Visitenkarte der Hohen Schule des französischen Balletts zu Musik aus Édouard Lalos „Namouna“ (angekündigt für die morgige Heinz-Bosl-Matinée der Ballett-Akademie München). Als Letzter der von Diaghilew geformten Starpersönlichkeiten wäre er heute hundert Jahre geworden – nachdem wir im vorigen Jahr des hundertsten Geburtstags von Balanchine, Ashton, Dolin und Kochno gedacht haben. So schließt der Club der hundertjährigen Diaghilew-Veteranen seine Mitglieder-Liste. Es wird niemand mehr hinzukommen.
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