Hochkochende Emotionen
Das Eifman Ballett St. Petersburg beim Dance Summit in Berlin
Das St. Petersburger Ballett-Theater mit Boris Eifmans „Anna Karenina“
Als das Stuttgarter Ballett in den sechziger Jahren erstmals in Moskau und Leningrad zu Gast war, bestürmte die demnächst achtzigjährige Maja Plissetzkaja, damals unangefochtene Assoluta der Sowjetunion, hingerissen von der leidenschaftlichen Emphase der Crankoschen Pas de deux, den Stuttgarter Ballettchef, er möge doch bitte einen „Anna Karenina“-Abendfüller für sie choreografieren. Dazu kam es indessen nicht, und so arrangierte sie für sich selbst, zusammen mit ihrem Gatten Rodion Schtschedrin als Komponisten, ein Tanzspektakel über Tolstois liebesemanzipatorische Heldin, dem indessen kein sonderlicher Erfolg beschieden war.
Ob sie wohl als Protagonistin von Boris Eifmans gleichnamigem Ballett-Zweiakter glücklich geworden wäre, der jetzt als Europa-Premiere zur Eröffnung der herbstlichen Ballett-Stagione der Kulturgemeinschaft im Ludwigsburger Forum am Schlosspark über die Bühne ging – nach den russischen Vorstellungen in Krasnodar und St. Petersburg – gehören die etwa nicht mehr zu Europa? Das Publikum jedenfalls schien es zu sein. Es ist ja seit Jahren mit den alternativen Ballett-Besuchern von der Newa vertraut (während deren adlige Mariinsky-Kollegen Baden-Baden zu ihrer westlichen Residenz erwählt haben). Es kam auch diesmal voll auf seine Kosten, während Eifman seine Ballettkohorten zwei Stunden als Dampfwalze über die Bretter wuchtete – wie eine Truppe auf dem tänzerischen Exerzierplatz, von rechts nach links und von links nach rechts, ab und zu auch in diagonaler Richtung, immer aber den Kopf geradeaus, frontal das Publikum im Blick.
Saft und Kraft des russischen Balletts – da sprühten die Kommunikationsfunken zwischen Bühne und Zuschauerraum nur so hin und her. Wer könnte dem auch widerstehen, wenn dazu ein abenteuerlich zusammengestoppelter Tschaikowsky aus voll aufgedrehten Lautsprechern dröhnt! Zu powern, das versteht dieser Eifman, das verstehen diese Jungrussen mit ihrer kuriosen Folies-Russe-Choreografie aus Klassik, Contemporary, Béjart und Kylián nebst Graham – und ein italienisches Masken-Intermezzo ist auch noch dabei, ganz zu schweigen von der schicksalhaften Maschinenmasse, die sich aus wallendem Nebel formiert und am Schluss die schuldig gewordene Anna Karenina begräbt – da bringt Eifman sogar noch die Erinnerung an die legendären Maschinentänze Foreggers aus der revolutionären Aufbruchsphase des jungen Sowjetballetts ins Spiel.
Allein die Pas de deux und die Pas de trois von Anna mit ihrem ungeliebten Ehemann, dem Hofrat Karenin, und ihrem feschen Liebhaber Wronski kommen nicht recht von der Stelle – da entwickelt sich im Gegensatz zu den Crankoschen und MacMillanschen Pas de deux und Pas de trois nichts. Zudem sind die beiden rivalisierenden Männer zu wenig individuell charakterisiert – ja es geht einem mehrfach so, dass man sich fragt, ist das nun Karenin oder Wronski (wozu auch ihre unglückselige uniforme Kostümierung beiträgt). Zudem sind die beiden Solisten, Oleg Markov und Yuri Smekalov, vom Typ her zu ähnlich, kraftvolle und sprungtüchtige Athleten, beide sportgestählte Champions aus dem Body-Building-Studio am Newsky Prospekt, dass nicht recht plausibel erscheinen lässt, was denn Anna an dem einen so attraktiv findet, was nicht auch der andere zu bieten hat.
Zudem bleibt unerfindlich, warum Eifman auf das dramaturgisch notwendige Kontrastpaar von Levin und Kitty verzichtet hat, das seiner mit Formel-Eins-Geschwindigkeit vorbeipreschenden Choreografie ein paar dringend benötigte lyrische Momente des Innehaltens hätte beisteuern können. Und so leidet Maria Abashova als Anna leidenschaftlich vor sich hin, verstrickt sie sich immer auswegloser in dem Labyrinth ihrer unmöglichen, unzähmbaren Liebe. Eifman zufolge „ein Werwolf, weil in ihr zwei unterschiedliche Frauen gelebt haben“. Wenn die freilich Greta Garbo und Marcia Haydée geheißen haben sollten, hätten ihr vielleicht ein paar Coaching-Sessions mit den beiden Anna Kareninas – der realen auf der Leinwand und der virtuellen in einem Ballett von John Neumeier (à la „Endstation Sehnsucht“) – gut getan! Im Übrigen sind wir jetzt doppelt gespannt auf Terence Kohlers „Anna Karenina“ – am 6. Mai in Karlsruhe! Weitere Vorstellungen in Ludwigsburg noch bis zum 30. September.
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