Man muss die Arbeit lieben
Ein Interview mit Richard Wherlock
Richard Wherlock choreografiert, Jürg Burth inszeniert Bernsteins „On the Town“ in Basel
Drei Matrosen haben einen Tag Landurlaub in New York und mischen die Stadt auf – aus dieser Handlungsidee schuf Jerome Robbins 1944 sein allererstes Ballett „Fancy Free“ beim Ballet Theatre, dem späteren ABT. Der junge Leonard Bernstein schrieb ihm die Musik dazu, und nur ein halbes Jahr später hatten beide die Handlung auf das abendfüllende Musical „On the Town“ erweitert. Die Texte dazu gaben sie beim bekannten Autorenpaar Betty Comden und Adolph Green in Auftrag; die beiden spielten auch in der Uraufführung mit. Auf deutschsprachigen Bühnen wird das Werk selten, aber doch immer wieder mal inszeniert – die aufwendigste Produktion brachte John Neumeier 1991 mit seinem Hamburger Ballett heraus, in einer sehr gelungenen Besetzung aus Opernsängern, Musicaldarstellern und Tänzern.
In Basel führt nun der Schweizer Jürg Burth Regie, in den 70er Jahren Mitbegründer des Kölner Tanzforums und später zusammen mit Helmut Baumann einer der Musicalspezialisten am Berliner Theater des Westens. Die Choreografie stammt vom Basler Ballettchef Richard Wherlock. Im Einsatz sind neben eigens engagierten Musicaldarstellern das Ballett und der Opernchor des Basler Theaters, und die Mischung klappt vorzüglich. Vor allem die Herren und Damen des Chors hat Burth in ihren vielen kleinen Rollen mit zahllosen hübschen Details in Szene gesetzt – sie jazzen, flirten, sächseln und schniefen, jagen liebevoll ihre Running Gags durch den ganzen Abend.
Die eigentliche Handlung aber bleibt im Klischee stecken, denn ausgerechnet für die sechs Hauptpersonen fällt dem Regisseur wenig ein. Zwar hat er drei witzige, liebenswerte Matrosen (die hier auch noch wie die Orgelpfeifen ankommen), aber ihre angebeteten Damen werden ziemlich einseitig als sexlüsterne Verführerinnen gezeichnet. Dabei sind gerade die Frauen durch Buch und Gesangstexte erstaunlich modern charakterisiert – die Taxichauffeurin Hildy als taffe, knallhart emanzipierte New Yorkerin, die zickige Claire als sympathische Parodie der elitären Wissenschaftlerin und selbst die süße „Miss U-Bahn“ Ivy als selbstständiges, hart arbeitendes Mädchen.
Die Inszenierung ist, wenn man so will, nichts für Romantiker – die Regie ironisiert die gesamte Handlung und glaubt nicht an die drei liebevoll ausgeschmückten Liebesgeschichten. Oder warum sonst würden sich die drei Mädels nach dem Abschied sofort den nächsten drei Matrosen an den Hals werfen? Jürg Burths Komik kommt grob gerastert und mit Tusch daher, sein Slapstick hat Breitwandformat – er gibt dem Affen Zucker und verliert darüber den Sinn für die vielen witzigen Nuancen, die das Stück durchaus hat. Richard Wherlock geht insofern darauf ein, als auch er auf Effekt choreografiert, mit der Alternative komisch oder sexy. Robbins und Bernstein haben mehrere große Tanzszenen eingearbeitet, die meisten davon finden in der Fantasie des Matrosen Gabey statt, der seine „Miss U-Bahn“ sucht und Angst hat, ob sie ihn wirklich lieben wird.
Dass Richard Wherlock nicht unbedingt der Spezialist für Musical-Choreografien ist, hat er mit seiner ballettlastigen „West Side Story“ auf dem Bregenzer See bewiesen; groß arrangierte Shownummern vom Schlage Robbins oder Neumeier darf man hier nicht erwarten. Wherlock klebt einfach ein bisschen zu sehr am eckig-intellektuellen Tanzstil, als dass er die Leichtigkeit, den jazzigen Rhythmus dieser Art von Tanz wirklich treffen könnte. Nach den originellen Luftsprüngen der Eröffnungsnummer „New York, New York“ macht er aus dem Ballett über das stilvolle Leben von Miss U-Bahn eine alberne Pantomime, zum Duett „Carried away“ lässt er passend, kurz und knackig Neandertaler über die Bühne toben. Gabeys Traumballette aber geraten nach ihrem angedeuteten Ginger-und-Fred-Einstieg viel zu erotisch: Träumt der verliebte Matrose wirklich von einem männermordenden Vamp oder nicht vielmehr von einem süßen Mädchen? Immerhin hatte Robbins die Rolle in der Uraufführung mit einer Balletttänzerin besetzt, in Hamburg war es damals Gigi Hyatt. In das rasant, aber den Touch zu klassisch choreografierte große Matrosen-Finale des ersten Aktes sind die drei Hauptpersonen kaum integriert. Dabei können sie doch tanzen, der aufrechte Gabey (Martin Bacher), der coole Ozzie (Rüdiger Reschke) und der Komiker Chip (Franc Tima), und singen natürlich sowieso.
Als energische Taxifahrerin Brunhilde überzeugt Pascale Camele mehr durch Charakter als durch Stimme, Georgina Chakos singt die enthemmte Anthropologin Claire de Loon mit starkem Akzent, Roswitha Stadlmann darf als Ivy ihre tollen Beine zeigen. Vor allem die drei Darstellerinnen leiden unter der überkommenen Vorstellung ihres Regisseurs, dass man bei Musical mit aller Gewalt auf die Pauke hauen muss, weil es ein bestimmtes Unterhaltungsklischee zu erfüllen hat – anstatt sich dem Stück bei all seiner Komik so ernsthaft und sorgfältig zu nähern wie jedem anderen Genre.
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