Die nächste Generation kommt
Choreografie ist Beruf, Handwerk und Talent. Ein Blick auf Weiterbildungsangebote in der Schweiz
Es war ein abwechslungsreicher und fröhlicher Abend, der neueste Workshop der Noverre-Gesellschaft beim Stuttgarter Ballett. In manchen Jahren mag man an der Einfallslosigkeit des Nachwuchses regelrecht verzweifeln, aber hier gab es zehn kurzweilige und sehr unterschiedliche Stücke, einige der „Jungen Choreografen“ möchte man gern wiedersehen. Natürlich blitzten auch hier, wie jedes Jahr, die immer gleichen choreografischen Vorbilder durch; es spricht für die Neuartigkeit des Stuttgarter Haus-Choreografen Marco Goecke, dass neben den zackigen Beinwürfen à la Forsythe oder dem fließenden Stil Jirí Kyliáns nun plötzlich auch seine nervösen Hände und mäandernen Arme überall auftauchen (nicht nur in Stuttgart).
Neben zwei Solos gab es vier Ensemblestücke und vier Pas de deux. Demis Volpis schnelles, zackiges Duo „on and on and on“ schien zu einer originellen Musikcollage aus Trommeln und Cello anfangs aus lauter geliehenen Bewegungen zu bestehen. Aber bald entwickelte der junge Stuttgarter Corps-Tänzer doch eigene Ideen wie einen gewagten, aufgefangenen Spagat; neben der stürmischen Dynamik hatte sein Stück auch durchaus Witz.
Im diametral entgegengesetzten Tempo, einem quälend langsamen Adagio, choreografierte die Kanadierin Sabrina Matthews, die in ihrem Heimatland bereits einige Lorbeern verdient hat. Sie beweist Talent darin, Tänzer gut aussehen zu lassen (damit macht man in Stuttgart schon mal Punkte) – Alicia Amatriains extreme Biegsamkeit und Evan McKies Intensität als Partner erschienen im besten Licht, wenngleich „Soles“ zu Renaissance-Klagegesängen die Spur zu konventionell, zu nichtssagend blieb.
Martin Buczkó, Solist in Vladimir Malakhovs Berliner Staatsballett, choreografierte in „The Momentary Loss of Faith“ ein extremes Strecken und Dehnen für sich und seine Partnerin Marianne Joly. Zu elektronischer Musik (auch sie stammt von Buczkó) berührte man sich kaum, schob die Hüften vor und drückte den Rücken durch, was insgesamt den Eindruck einer etwas manierierten Modernität hinterließ.
Der Russe Igor Kirov, Tänzer in Hildesheim, hatte für seinen fließenden, romantischen Pas de deux eine zu belanglose Musik gewählt. Natürlich ist es lobenswert, für erste Versuche nicht gleich zu großer Musik zu greifen, aber in diesem Fall zog die schnulzige Nebensächlichkeit der Filmmusik zu „Dust“ das ganze Stück hinunter. Der israelische Choreograf Eyal Nahum dagegen überfrachtete sein modernes Solo „C 2“ für Sébastien Galtier mit zu viel Inhalt: Auf großen Pfeilen standen Worte wie „Abandoning“, „Castration“ und „Identity“, es sah aus wie im Gaza-Streifen der Psychoanalyse.
Auch Stéphen Delattre aus Braunschweig, der für sein Trio zwei Kolleginnen von dort mitbrachte, verwirrte durch einen Soundtrack, der von Klaviergeplänkel über französischen Text und eine Art Sabber-Monster allerlei merkwürdige Klänge vereinte. Drei preziöse Wesen in knappen Korsagen zierten sich in „FAKE US“ vor sich hin und landeten zum Schluss als flotter, wenngleich stark ineinander verkeilter Dreier auf dem Boden.
In „Li Li“ kam uns die Österreicherin Eva Henning zu Intellektuellen-Pop von Björk & Co. schräg und tanztheatralisch, ein wenig strukturlos noch, aber mit interessantem Timing und einer durchaus eigenwilligen Kombination aus Klassik und Moderne. Der Heilbronner Show-Choreograf Selatin Kara bescherte in seinem Fußballstück erst die reine Wonne – zwei sensationelle Breakdancer, die ihre Head Spins zu Mozartmusik hinzwirbelten – und dann die pure Langeweile, weil er sich wieder einmal als klassischer Choreograf versuchte, der er nicht ist.
Bridget Breiner, die scheidende Erste Solistin, wagte sich nach ihrem letztjährigen Pas de deux an ein kleines Handlungsballett: Hinter „The Foul Prank oder Der böse Streich“ verbarg sich nichts anderes als Shakespeares „Othello“, im rasanten und vor allem ironischen Schnelldurchlauf zu spanischer Musik erzählt, originell und sehr musikalisch choreografiert und von fünf Stuttgarter Tänzern hingebungsvoll getanzt, mit einem weißen Otello (Damiano Pettenella) und einem schwarzen Jago (Alexis Oliveira).
Den meisten Jubel und wahre Lachsalven aber heimste Popstar und Solotänzer Eric Gauthier mit seinem Ballettkabarett „Ballet 101“ ein: Wie im Lehrprogramm beim Fernsehen kam seine Stimme auf dem Off und zählte die (angeblich) 101 Positionen des klassischen Balletts auf, der gut aufgelegte Jason Reilly demonstrierte die Posen dazu, die sich in den höheren Regionen zu netten Zitaten vom knienden Albrecht über Crankos Mercutio bis zum Sterbenden Schwan verstiegen. Dann mutierte das Zählen in einen Rap, mit dem Gauthier dem armen Reilly die Zahlen durcheinander an den Kopf warf und so ein Stück „choreografierte“, an dessen explosivem Ende wir das traurige Geheimnis der 101. Position erfuhren. Eine Ballettparodie voller Insider-Gags und sicher ein herrlicher Spaß auf zukünftigen Galas – und genau der Schuss prickelnden Übermuts, der dem Stuttgarter Ballett zur Zeit fehlt.
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