Eine Gala für zwei Legenden
Nijinsky-Gala in Hamburg
Nach einer Serie von Aufführungen im Pariser Théâtre du Châtelet gastierte das American Ballet Theatre im Februar zum ersten Mal seit über 17 Jahren mit sieben Vorstellungen im Londoner Sadler‘s Wells Theatre. Die Kompanie, die zu den besten in Amerika zählt, zeigte mit Choreografien von Petipa bis Twyla Tharp einen interessanten Ausschnitt aus ihrem breiten Repertoire. Das erste Stück des ersten Programms, der Schattenakt aus Petipas „Bayadère“ in einer Inszenierung von Natalia Makarova, überzeugte allerdings nur bedingt. Sowohl in der Samstags- als auch in der Sonntagsmatinée zeigte das Corps de Ballet Spuren von Müdigkeit, so dass der Auftritt der Schatten durch Wackler und Gleichgewichtsverluste an Magie und Synchronität verlor. Zudem machte die eher kleine Bühne den Tänzern zu schaffen, und sowohl der temperamentvolle Angel Corella als auch der technisch souveräne David Hallberg als Solor näherten sich in ihren Diagonalen gefährlich dem Orchestergraben.
Um einiges besser nahm sich daraufhin Mark Morris‘ 1987 für 6 Tänzerpaare geschaffene Choreografie „Drink to me only with thine eyes“ aus. In diesem leicht vorbeifließenden Stück formen und lösen sich Paare zur Musik von Virgil Thomsons „Etudes for Piano“. Vor dem Geflecht der sich immer wieder neu gruppierenden Kommenden und Gehenden zeichnen sich Paloma Herrera und Angel Corella als Hauptpaar ab, wobei vor allem letzterer in einem humorvollen Solo dem Ballett seinen Stempel aufzudrücken vermag.
Ein Glanzstück der guten Laune und des amerikanischen Humors ist schließlich Jerome Robbins‘ 1944 entstandenes Ballett „Fancy Free“ über drei Seemänner auf Landurlaub, die sich die Zeit mit Trinken, Kaugummikauen und der Jagd auf schicke Girls vertreiben. Fast voller Erfolg scheint ihnen beschieden, als sie nach einigem Widerstreben zwei zierliche Schönheiten mit ihrem Charme betören, die ihnen allerdings im sowohl tänzerisch als auch mit Fäusten ausgetragenen Kampf um ihre „Verteilung“ wieder abhanden kommen. Robbins‘ augenzwinkernde Choreografie scheint den exzellenten Tänzern - Herman Cornejo, Ethan Stiefel und José Manuel Carreño als schnittige Seemänner sowie Gillian Murphy und Stella Abrera als widerspenstig-kokette Passantinnen - wie auf den Leib geschneidert. Leonard Bernsteins Musik sowie ein Bühnenbild von Oliver Smith und Kostüme von Kermit Love vollenden das ironisch-klischeehafte „tableau“.
Ein weiteres Programm wurde durch George Balanchines in Europa selten aufgeführtes Stück „Symphonie Concertante“ zu Mozarts Sinfonia Concertante für Violine und Viola eröffnet. Im Mittelpunkt des Stückes, das in seiner Ästhetik an Balanchines „Symphonie in C“ und „Theme and Variations“ erinnert, stehen ein männlicher und zwei weibliche Solisten - an diesem Abend Maxim Beloserovsky, Veronika Part und Stella Abrera, wobei besonders letztere durch eine gelungene Mischung aus Glamour und graziler Zurückhaltung überzeugt.
Nach einem schillernden, aber etwas brutal getanzten Pas de Deux des schwarzen Schwans von Paloma Herrera und Angel Corella wechselte die Atmosphäre von neuem mit Twyla Tharps „In the Upper Room“ zu Musik von Philip Glass. Dieses energiegeladene Ballett scheint eine Befreiung zu thematisieren: In die anfangs durch dicken Nebel, Finsternis, fließende Musik und schwarzweiß gestreifte Kostüme erzeugte hypnotisch-dumpfe Atmosphäre mischen sich bald ironischere Töne. Die Kostüme werden spärlicher und die rote Farbe erobert im Laufe des Balletts immer stärker die Bühne. Gegen Ende steigert sich das Stück beinahe zur freudigen Ekstase, und in die Musik von Glass, die das Bühnengeschehen zu Beginn beinahe aufsaugt, mischt sich zum Schluss lauter Sirenengesang. Besonders die beiden ersten Solistinnen Irina Dvorovenko und Gillian Murphy wirbeln in Turnschuhen und Turnanzügen mit ungehemmter Energie durch das Stück, das nach anfänglichen Längen immer mehr an Kontur gewinnt.
Den Höhepunkt dieses Abends bildet jedoch Herman Cornejos herausragende Interpretation des „Spectre de la Rose“. Der junge Argentinier tanzt die von Nijinsky kreierte Rolle nicht mit der femin-grazilen Geschmeidigkeit, die beispielsweise Igor Kolb oder Vladimir Malakhov in diesem Stück auszeichnen, sondern scheint eher den starken, berauschenden Duft der Blume zu verkörpern. Völlig in sich selbst versunken, fasziniert er das träumende Mädchen, scheinbar ohne dies zu beabsichtigen.
Angesichts der erschwerten Bedingungen am Ende einer langen Tournee, in fremdem Umfeld und auf ungewohnt kleiner Bühne ist es verständlich, dass sich das American Ballet Theatre nicht in seiner Höchstform präsentieren konnte, und die hervorragenden Darbietungen einiger exzellenter Solisten erscheinen umso bewundernswerter. Nach den Gastspielen des New York City Ballet in Dänemark und des San Francisco Ballet in Paris im Jahr 2005 kann man nur hoffen, dass große amerikanische Kompanien in Zukunft noch häufiger in Europa zu sehen sein werden.
Besuchte Vorstellungen: 17. Februar (Matinee), 18. Februar (Matinee und Abendvorstellung)
Links: www.abt.orgwww.sadlerswells.com
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