Der Tanz ist der Tanz ist der Tanz - und nichts sonst

Die Merce Cunningham Dance Company bestreitet die diesjährige Tanz-Stagione

oe
Heilbronn, 11/01/2007

Die Heilbronner sind ja allerlei gewohnt. Einmal im Jahr dürfen sie ein paar Tage lang in Tanz schwelgen – und haben dabei im Laufe der Zeit einige der führenden Kompanien der Welt bei sich zu Gast gehabt. Allerdings keine, in der sich der Tanz so selbständig gemacht hätte wie bei der amerikanischen Merce Cunningham Dance Company. Es gibt allerdings auch rund um den Globus keine andere, die derart alle herkömmlichen Erwartungshaltungen verstört, mit denen das Publikum gemeinhin einen Tanzabend besucht. Ganz abgesehen davon, dass es bei ihm keine anekdotischen Inhalte und keine linearen Abläufe gibt, verzichtet er auch auf jegliche Schwerpunkte. Es existieren bei ihm keine bevorzugten Raumzonen, keine choreografischen Haupt- und Nebenstimmen, keine Entwicklungen und Durchführungen. Tanz, Musik (eher von der geräuschartigen Art), Kostüm, Raum und Beleuchtung stehen gleichberechtigt nebeneinander. Der einzige Gemeinsamkeit stiftende Faktor ist die Zeit, in der sich die Vorstellung ereignet. Entsprechend liebt es der inzwischen Siebenundachtzigjährige, noch immer der Frontmann des amerikanischen modernen Tanzes, seine Stücke als „Events“ zu deklarieren und fortlaufend zu nummerieren.

Was sollen auch Titel, mit denen das Publikum sowieso nichts anfangen kann? Am Eröffnungsabend der fünftägigen Heilbronner Stagione standen gleichwohl zwei Stücke auf dem Programm, die eine Einladung an die Fantasie der Zuschauer offerierten. Das erste stammt aus dem Jahr 1994 (nicht 1993 wie angekündigt – aber darauf kommt es nun wirklich nicht an) und heißt „CRWDSPCR“. Doch selbst wenn man weiß, dass es als Abkürzung für „Crowd Spacer“ oder „Crowds Pacer“ steht, können Sie sich unter diesem – sagen wir einmal „Mengen-Teiler“ etwas vorstellen, oder unter „Biped“, dem „Zweifüßer“ aus dem Jahr 1999 nach der Pause? Also schicken wir unsere Fantasie auf die Reise durch dieses Labyrinth, in dem dreizehn Tänzer in buntscheckigen Trikots von Mark Lancaster im klimpern-scheppernden Geräusch-Environment von John King dreizehn Soli nebeneinander tanzen, eine dreizehnstimmige Raum-Polyphonie sozusagen, die sich nur selten zu Gruppenbildungen verdichtet und zu Körperkontakten führt – allenfalls zu parallelen, beziehungsweise symmetrischen Bewegungsführungen, deren unisono Ausführung verblüfft – genauso wie erstaunt, dass es bei so viel Tänzergewusel zu keinerlei Zusammenstößen kommt. Aber das ist alles exakt choreografiert, bezieht auch klassisch-akademische Arrangements ein, die aber völlig verfremdet werden, nicht zuletzt durch ihre eigenwillige Phrasierung und ihre Fragmentarisierung. Das Ganze hat einen durchaus lustigen und fröhlichen Charakter und erinnert Besucher, die sich in New York auskennen, an die Rushhour am Times Square.

Ganz anders der Eindruck bei dem etwas zu lang geratenen „Biped“, in dem die dreizehn Tänzer sich in metallen gleißenden Trikots von Suzanne Gallo zu den leise vor sich wimmernden Klängen von Gavin Bryars in einem sich ständig verändernden Raum bewegen, der sich durch die Projektionen von Shelley Eshkar und Paul Kaiser und die Beleuchtung von Aaron Cop molluskenhaft verselbständigt. Das ist ein raffiniertes Stück, in dem sich die Tänzer gegen die computergezeugten Kybernetiker, seltsame Strichkreaturen aus dem Weltall, zu behaupten haben, die skelettiert durch den Raum segeln, auf Lichtbahnen balancieren, Extra-Terrestrials aus dem Steven-Spielberg-Kosmos. Das mutet an wie eine elektronische Dimensionserweiterung der Schlemmerschen Bauhaus-Vorstellungen und suggeriert eine mystische Atmosphäre, die zugleich etwas Bedrohliches und etwas Belustigendes an sich hat. Aber Cunningham ist weit davon entfernt, hier etwa die Geschichte einer Attacke virtueller Geschöpfe aus dem Weltraum zu erzählen. Sie existieren so für sich wie die realen Tänzer auf der Bühne – und erweitern so unsere Erfahrung dessen, was Theater heutzutage sein kann.

 

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