Den Ballett-Code knacken
„Spitze“ von Doris Uhlich bei „Tanz! Heilbronn“
Fattoumi/Lamoureux aus Frankreich eröffnen das Festival „Tanz! Heilbronn“
„Wir wollen doch nur tanzen“, so lautet frei übersetzt der englische Titel des französischen Tanzstücks „Just to dance“, getanzt von Japanern, Kongolesen und Franzosen. Die Multikultirevue des Choreografenpaars Héla Fattoumi und Eric Lamoureux eröffnete das dritte Festival „Tanz! Heilbronn“, das, kuratiert von Karin Kirchhoff, vier Tage lang zeitgenössischen Tanz aus Europa, Afrika und Asien präsentierte.
Er ist Franzose, sie Tunesierin, gemeinsam leiten Lamoureux und Fattoumi in Caen in der Normandie eines der Centres Chorégraphiques, mit denen in Frankreich der moderne Tanz dezentral auf die Regionen verteilt wird. Begleitet wird ihre bunte, persönlichkeitsstarke Tänzerschar von einem auf ganz eigene Weise spektakulären Musikerduo. Denn die Sängerin Dominique Chevaucher spielt das Theremin, jenes elektronische Instrument, bei dem die Bewegung der Hände zwischen zwei Antennen wunderlich heulende, fremdartige Laute hervorbringt, in diesem Fall eine Musik zwischen Raumschifflandung und Dschungelkakaphonie, Jazz, Koloratur und Slapstick. Tanzende Hände machen Musik – schon rein optisch ist das eine interessante Begleitung.
Nicht nur der Anfang, eine spinnenartiger Kreis aus vielen Beinen, wirkt wie ein Ritual, zu ritualisierten Begegnungen kommt es immer wieder während der 80-minütigen Aufführung. Jeder Tänzer stellt sich mit einem Solo im freien, zeitgenössischen Stil vor, bevor das anfangs eher bedächtige Stück in lautes Tanztheater ausbricht. Mit einem vorwitzigen Japaner etwa, der das gemeinschaftliche Falten eines großen Papiers zu Schachtel oder Zelt so rasant wie eine Sportveranstaltung kommentiert, nur um zwischendurch laut nach William Forsythe zu rufen (er war leider nicht da). Dann folgt ein Disco-Teil, in dem sich alle bunte Perücken aufsetzen und in Glitzermode werfen, in dem gezaubert wird und man ein bisschen die nationalen Stereotypen bedient. Das Ganze artet in eine Art „Village People“-Folklore aus, Motto: jeder darf so schrill und exzentrisch sein, wie er möchte. Die Botschaft kommt an und wird doch etwas zu breit getreten, wie sich überhaupt jede Idee in diesem Stück unendlich lang entwickeln darf und so viel Platz bekommt, bis sie sich zu Tode entfaltet hat. Cherkaouis „Babel“, wo es ebenfalls um das Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten geht, nutzt den Faktor Zeit wesentlich origineller ein und überrumpelt sich ständig selbst. Als die Show den Tanz schon fast über den Tisch gezogen hat und der Titel „Just to dance“ nun wirklich nicht mehr zutrifft, da wird, nach einer eingespielten Ansprache über das Weltbürgertum, zum Schluss endlich wieder getanzt: die neun Weltbürger greifen ihre Solos vom Anfang wieder auf, jeder für sich alleine. Nun aber geben sie ihre Bewegungen weiter, fallen in Parallelen und tanzen sich in eine Art Trance. Vom Himmel fällt feiner Ascheregen, Stroboskopblitze zucken, die Welt verdunkelt sich – ein düsterer Schluss für das eigentlich zuversichtliche Stück.
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