Platel goes Butoh
Deutsche Erstaufführung: „C(h)oeurs" bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen
Sein Ruf eilt ihm voraus: Hofesh Shechter gilt als einer der angesagtesten jungen Choreografen in London und war nun zum ersten Mal in Deutschland. Am Mittwoch gastierte der 32-jährige Israeli mit seiner kleinen Company bei der Tanzreihe der Ludwigsburger Schlossfestspiele in der Karlskaserne. Und zeigte in den drei kurzen Stücken seines Programms „deGeneration“ wirklich etwas Ungewöhnliches: jungen, wilden, rohen Tanz, ein besessenes Körpertheater voller Energie, in dem der pulsierende Rhythmus die Körper über die Bühne treibt, meilenweit entfernt von elaboriertem Tanztheater oder pusseliger Kontaktimprovisation.
Shechters Stücke sind Spektakel der Moderne, er erschlägt seine Zuschauer mit einem perfekten Setting aus Musik, Licht und Raumwirkung, angefangen bei der von ihm selbst komponierten Musik. Es sind filmreife Soundtracks aus treibenden Rockbeats oder wummerndem Maschinenstampfen, aus Rauschen oder überlautem Regengeprassel, in die immer wieder Stimmen hineinmontiert sind - angenehme Bassstimmen, Mickey-Maus-Quietschen, murmelnde Stimmen, die vom Leben und Sterben reden und die man doch nicht versteht. Dazu treibt immer etwas diesiger, schwummriger Rauch auf der Bühne, das Licht erstrahlt in tiefem Blau oder in einer grellen Lichtbatterie von hinten. Shechter setzt traurige Menschen in einsame Spots und lässt immer wieder tiefe Nacht hereinbrechen, Schriften erscheinen an der Wand und lassen letzte Fragen offen - der Mann weiß wirklich, wie man Effekte setzt.
Und dazu sein Tanz! Wie Getriebene wirken die Tänzer oft (der Choreograf ist in zwei Stücken selbst dabei), sie zucken wie unter Strom, bewegen sich ansonsten oft gebeugt, locker, ganz und gar unklassisch. Vieles findet auf dem Boden statt, es wird geschrien und gerannt, immer wieder fallen Tänzer in ein kurzes, heftiges Unisono, bevor wieder einer ausbricht. Ruhelos setzen sich die Gruppen immer wieder neu zusammen, manchmal hechten sie gebückt wie die Affen über den Boden, mit schlenkernden Gliedmaßen, stoßen sich kerzengerade vom Boden weg und werfen sich wieder hinunter. Und wieder fährt die Musik in sie wie ein Stromschlag, der Beat besitzt sie und treibt ihre Körper vor sich her. Es ist Tanz zwischen den Spannungspolen Spaß und Angst.
In „Cult“ treten drei etwas skurrile, verknitterte Männer gegen drei Frauen in grellroten Kleidern an, manchmal sieht es aus wie gebeugte Penner beim Hip-Hop. Im Duo „Fragments“ artet das zunächst etwas belanglose Nebeneinander eines Paares in ironische bis groteske Duelle aus, man benutzt etwa die Zeigefinger zum Fechten, bis die elektronische Musik den Mann wie eine motorische Störung befällt. Und das ruhige Klavier-Andante von Bach wandelt sich zum Monty-Python-Hit „Always look on the bright side of life“ in einem Arrangement für himmlische Chöre. Solche Ideen muss man erstmal haben.
„Uprising“ schließlich stellt sieben Jungs in weiten Cargohosen und Schlabbershirts in klassischer Pose an die Rampe, bevor auch sie das wilde Stampfen von Shechters Musik erfasst. In Sekundenschnelle artet ein beherrschtes Spiel zur Schlägerei aus, die Coolness der Straßengang geht in ratloses Herumstehen und verzweifeltes Aneinanderkleben über. Selten wirkt Bühnentanz so brandaktuell, so lebensnah - bei Hofesh Shechter weht ein kräftiger Wind von der Straße durchs Theater.
Links: www.schlossfestspiele.de / www.hofesh.co.uk
Frank Weigands Interview mit Hofesh Shechter auf tanznetz.de
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