Noch immer Crankos Kompanie
Das Stuttgarter Ballett feiert sein 50-jähriges Bestehen
Nur in Stuttgart bekommt ein 65-jähriger Tänzer, der jede Menge Sprünge auslässt und etwas rundlich geworden als Clown über die Bühne tollt, mehr Applaus als die berühmtesten Gäste aus aller Welt. Wen das Publikum hier einmal ins Herz geschlossen hat, den liebt es auf ewig: Egon Madsen wird bei jeder Rückkehr nach Stuttgart enthusiastisch gefeiert, genau wie Marcia Haydée, der Ballettdirektor Reid Anderson am Samstag kurz entschlossen die große Abschlussgala der Cranko-Festivitäten widmete, weil ihr Zusammenwirken mit Cranko „der größte Pas de deux aller Zeiten“ war.
Viereinhalb Stunden dauerte die Gala, die insgesamt 18 Gäste aus elf internationalen Kompanien wurden nach Kräften unterstützt von sämtlichen (nicht verletzten) Stuttgarter Solisten und der John-Cranko-Schule. Die Gäste zeigten Ausschnitte aus den großen Handlungsballetten, die Stuttgarter hatten seltene und unbekannte Pas de deux von Cranko einstudiert. Und obwohl man „Onegin“ & Co. hier nun wirklich zur Genüge kennt, war es doch schön und rührend zu sehen, wie all diese Paare sich Hals über Kopf in Crankos Emotionen werfen, wie sie leiden, strahlen, lieben und kämpfen, mit welch graziler Feinheit die chinesische Julia über die Bühne weht, wie glücklich sich auch in Kanada Petruchio und Katharina in die Arme fallen, wie Crankos Werke in Berlin, Leipzig, München, Kopenhagen, London, Birmingham, Melbourne und Santiago de Chile gelebt und geliebt werden.
Große Ballettgalas haben immer etwas von einem olympischen Wettbewerb - wer springt höher, wer dreht schneller? Verteilen wir also in durchaus persönlicher Auswahl die Preise. Die Spitzentechniker des Abends: Marcella Goicoechea und Luis Ortizoga aus Marcia Haydées Ballet de Santiago de Chile, die mit aller gebotenen Raffinesse „die urspünglichste Version“ von Crankos Schwarzem-Schwan-Pas-de-deux darboten; Veränderungen gegenüber der Stuttgarter Version gab es dabei sowohl im Andante als auch in der Siegfried-Variation.
Der Partner des Abends: Jason Reilly, der Sue Jin Kang in Crankos „Legende“ sanft in immer gewagtere Hebungen hinaufwarf und sie zum Schluss minutenlang auf einer Hand im Kreis schweben ließ, was so hypnotisch wirkte wie Henryk Wieniawskis murmelnde Musik.
Die Entdeckung des Abends: leider nicht der Pas de deux zu einem Andante von Mendelssohn-Bartholdy, den Cranko für eine Fernsehaufnahme geschaffen hatte (das Programmheft verriet nicht einmal die Jahreszahl), obwohl er von Katja Wünsche und Marijn Rademaker so leicht hingetupft wurde. Stattdessen doch eher das so lange nicht gesehene „Aus Holbergs Zeiten“ mit der filigranen Elizabeth Mason und dem toll springenden, aber schlecht partnernden Alexis Oliveira. Nicht zu verschmerzen: der Wegfall der eigentlich geplanten „Hommage à Bolschoi“ - wann, wenn nicht zu so einer Gelegenheit will man den glanzvollen Pas de deux wieder ausgraben?
Die Heimkehr des Abends: Roberta Fernandes, ehemalige Stuttgarterin und nun Erste Solistin in München, die der deutlich unterbesetzten Stuttgarter Damen-Riege etwas vorwirbelte. Und ihre „Zähmung“ mit tatkräftiger Unterstützung von Filip Barankiewicz dennoch hemmungslos ins Klamottige übertrieb.
Ein klein wenig enttäuschend: der Pas de deux aus „The Lady and the Fool“ mit Ambra Vallo und Tyrone Singleton vom Birmingham Royal Ballet - so ganz wurde aus ihrer Interpretation nicht klar, warum gerade Moondog das Geheimnis der schönen Lady ergründet und sie sich ausgerechnet ihm, dem Außenseiter, ergibt.
Die Enttäuschung des Abends: der Onegin des Royal-Ballet-Stars Johan Kobborg, der geschminkt war wie ein 60-Jähriger und den Schluss-Pas-de-deux à la Jekyll & Hyde anlegte. Darunter litt sogar seine großartige Partnerin Alina Cojocaru, die selbst in der reifen Tatjana noch eine mädchenhafte Reinheit aufschimmern ließ und eigene Nuancen in die Rolle einbrachte, so blieb sie zum Beispiel am Schluss fassungslos vor dem zerrissenen Brief stehen.
Der magische Moment der Gala: Polina Semionova und Jiří Jelinek im Spiegel-Pas-de-deux aus „Onegin“, die bereits bei ihrer zweiten Begegnung das blinde Vertrauen, die knisternde Chemie der berühmten Tänzerpartnerschaften entwickeln - bitte mehr davon!
Die Stars des Abends: Alina und Polina - zwei der weltbesten Ballerinen geben uns als Crankos Tatjana den Glauben zurück, dass es doch noch große dramatische Tänzerinnen gibt.
Und der schönste Cranko des Abends: die beiden Clowns aus „Lady and the Fool“ - Egon Madsen und Eric Gauthier tanzten den Streit um die rote Blume mit so viel Liebe und Humor, man hätte John Cranko auch ohne das große Hintergrundfoto darüber lächeln gesehen. Noch mehr gefreut hätte er sich vielleicht über eine Wiederaufnahme des gesamten Stücks, das so viel typischer für sein Werk, für seinen Stil ist als „Carmen“.
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