Interview mit John Neumeier

Den Weihnachts-Mythos überdenken

Wien, 08/12/2007

„Dass ich das Bach'sche Weihnachtsoratorium choreografiere, hat mit vielen Ereignissen zu tun, auch mit Roland Geyers Vorschlag, eine Koproduktion mit Wien zu machen.“

Hamburgs Ballett-Zar John Neumeier ist enthusiastisch im Telefonat. „Ich habe bereits sehr viel von Bach choreografiert. Ich bezeichne ihn als profunden Tanz-Komponisten, der dem Choreografen die Türen öffnet. Letztlich ist es aber immer eine Ansammlung von Geschehnissen, die etwas in mir vorbereitet. Rein intellektuell gedacht, hätte ich das ,Weihnachtsoratorium vermutlich nicht angefasst.“

Neumeier, der Hamburgs Ballettwelt seit mehr als drei Jahrzehnten bestimmt, beschäftigt sich in seiner Tanz-Premiere des Bach-Kolosses mit den Kantaten I-III. Und damit mit der eigentlichen Weihnachtsgeschichte.

Aber: „Der Form nach ist es kein Drama, kein Schauspiel. Das Wiegenlied Marias etwa ist vor die Anbetung der Hirten gestellt, was eigentlich unlogisch ist. Das bedeutet auch, dass ich kein Handlungsballett mache.“ Es sei eher ein Überdenken dieses Weihnachts-Mythos in tänzerischer Form mit Gegenwartsbezug. „Zu Beginn der Erzählung sind Menschen unterwegs, Menschen ohne Heimat, die sich anmelden müssen. Menschen, die auf Reisen sind und eine Bleibe suchen. Das beschäftigt uns auch heute sehr stark. Ich mache keine Illusions-Geschichte, habe aber wohl versucht, die Bach'schen Texte klar und deutlich zu hören. Etwa: Wie reagiert man auf so eine Nachricht, auf die Geburt Christi? Es gibt auch ganz spezifische Figuren, aber es sind eher verschiedene Schichten von Aktionen, die ineinander fließen und meditativen Charakter haben.“

Die Sänger, darunter Christoph Prégardien als Evangelist, bezieht er nicht in die Regie mit ein. Mit dem Dirigenten Alessandro di Marchi, der auch die Hamburger Premiere am 23. Dezember musikalisch leiten wird, hat Neumeier bisher nicht gearbeitet. „Aber es gab vielversprechende Arbeitsgespräche.“ Mit seiner Sicht auf die „Matthäus-Passion „ hatte der Choreograf in den 80er-Jahren großen Erfolg. Die Verbindung zum Weihnachtsoratorium sei naheliegend. „Ich glaube, dass sich die beiden Werke ergänzen.“ Neumeier kann sich vorstellen, die Inszenierungen an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zu spielen.

Während er in der „Matthäus-Passion“ selbst auftrat, wirkt er diesmal nicht mit. Obwohl er zugibt, mit dem Gedanken gespielt zu haben. Gestalten aber wird er die Einführungs-Matinee im Theater an der Wien kommenden Sonntag. Das Thema mit Tänzern des Hamburg Balletts : „Sakraler Theatertanz.“ 

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

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