Der Luxus großer „L's“ in der „Terpsichore-Gala V“
Lacarra und Lopatkina, Lisa (Cullum) und Elizabeth (Auclair)
Ballettdirektor Machar Waziews Idee, bei der Petipa-Gala, die zum Abschluss des Münchner Gastspiels seines Mariinsky Balletts im Prinzregententheater stattfand, seine Tänzer mit denen des Bayerischen Staatsballetts zu mischen, wie er das bei den Internationalen Ballett-Festivals des Mariinsky Theaters gern mit Stargästen aus Paris, London oder New York praktiziert, ließ sich aus probentechnischen Gründen nicht realisieren. Schade, denn es hätte sich z. B. angeboten, Leonid Sarafanov wieder einmal mit Natalia Kalinichenko tanzen zu lassen, die sich beide aus ihrer Zeit in Kiev gut kennen, von wo aus sie gemeinsam Wettbewerbe gewannen. Stattdessen wechselten sich die St. Petersburger und Münchner Künstler in sechs Ausschnitten aus Petipa-Choreografien und acht Stücken seiner Vorläufer, Nachfolger und Widerparts ab, die man geschickt kombinierte.
Den Anfang machte „Le Spectre de la Rose“ von Mikhail Fokine aus dem Jahr 1911 zu Carl-Maria v. Webers „Aufforderung zum Tanz“, für das man als Bühnenbild das Schlafzimmer aufgebaut hatte, durch dessen Fenster der Geist der Rose zu dem Mädchen herein- und auch hinausspringt. Igor Kolb zeigte mit hohen Sprüngen und Pirouetten impulsive Expressivität, und die lyrische Linie der zarten Xenia Ostreikovskaya war voller Anmut, aber beide erreichten nicht die suggestive Kraft, für die dieser Pas de deux nach seiner Uraufführung mit Waslaw Nijinsky und Tamara Karsawina einer der berühmtesten der Ballettgeschichte geworden ist.
Vor blauem Hintergrund folgte Balanchines technisch sehr anspruchsvoller „Sylvia Pas de deux“ zu Musik von Léo Delibes, den Marina Eglevsky kurzfristig für Natalia Kalinichenko und Tigran Mikayelyan einstudiert hatte. Das hatte Rasse und Klasse, schwebte. Ihre Elevation, ihr Spiel mit der Musik, ihre sicheren Balancen im Adagio und dann der Wechsel ins Temperament schufen erste Momente des Schwelgens, während er mit makellosen Capriolen, balanchinesker Fußschnelligkeit und sauberem Stil überzeugte. Beide schufen eine Aura, die bis zur Pause unerreicht blieb. Denn über die Nikiya-Interpretation Irma Nioradzes, die immer noch eine hohe technische Note verdient, breiten wir den Mantel des Schweigens.
Daniil Korsuntzev als ihr Solor überzeugte künstlerisch weit mehr. Der anschließende „Pas des Odalisques“ aus Petipas „Le Corsaire“, getanzt von Fiona Evans, Ivy Amista und Zuzana Zahradnikova, offenbarte trotz schöner halbsolistischer Einzelleistungen das Defizit an gemeinsamer Stilistik – gerade im Gegensatz zum folgenden „Markitanka“. Dieses älteste Stück des Abends, von Arthur Saint-Léon 1844 zu Musik von Cesare Pugni choreografiert und als „La Vivandière“ vielleicht bekannter, gefiel durch die absolut synchrone Homogenität der sechs Tänzer, das schöne Anfangs- und Schlussbild ihrer Formation, die Balanchine zu seinem Sonnenwagen angeregt haben könnte, sowie durch die Virtuosität der Protagonisten Ekaterina Osmolkina und Anton Korsakov, die allerdings von der Würze des heiteren Esprits dieser Pastorale einiges vermissen ließen.
Künstlerisch überzeugten dann wieder Lisa-Maree Cullum und Alen Bottaini mit „Zakouski“ vom Balanchine-Nachfolger Peter Martins, einem mit netten „Kleinigkeiten“ (russ. Zakouski) gewürzten Pas de deux zu Kleinformen von Rachmaninoff, Stravinsky, Prokofjew und Tschaikowsky. Die Münchner tanzten ihren Flirt so wohltuend modern, dass es zuweilen swingte, köstlich in den Phrasierungen und charmant akzentuierten Brüchen, und verbanden ihre Virtuosität mit hellem Bewusstsein für das Neckische der musikalisch gegebenen Folklore-Elemente. Mit einem bunten Ensembletanz der Piraten aus Petipa/Liskas „Le Corsaire“ gings in die Pause.
Neues von Petipa sieht man selten. Der Pas de deux aus seinem „Le Talisman“ von 1889 zur Musik von Riccardo Drigo war von Tatyana Tkachenko und Mikhail Lobukhin allerdings ganz als Bravourstück aus Tricks und Fouettés angelegt, sodass man neben den beachtlichen, sich aber nun doch schon sehr wiederholenden tänzerischen Skills nur kurze Übergangsmomente als choreografische Kostbarkeiten sah. Deshalb war es gut, dass Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan von Sir Frederick Ashton etwas völlig anderes brachte: die Leidenschaft und Seele einer Frau. Sherelle Charge, in ihrer letzten Saison beim Bayerischen Staatsballett auf der Höhe ihrer künstlerischen Mittel, imaginierte die verschiedenen Situationen so intensiv und stilisierte ihre Emotionen so expressiv, dass man förmlich spüren konnte, wie diese Feminität in unerhörter Manier damals, in der Zeit nach Petipa, ein Skandal war. Am Klavier begleitete Maria Babanina mit feinfühliger Klarheit.
Danach „ging die Post ab“: Viktoria Tereshkina und Vladimir Shklyarov präsentierten sich in Victor Gsovskys „Grand Pas classique“, Alina Somova und Andrian Fadeyev in Balanchines „Tschaikowsky Pas de deux“ sowie Olesya Novikova und Leonid Sarafanov im Pas de deux aus „Don Quijote“ – eine sich steigernde Reihe universaler Virtuosität, wie sie in der Welt nur selten zu finden ist, die Ballerinen bestechend in Flexibilität, Linie und Anmut, vielleicht mit noch etwas künstlerischer Erfahrung schon morgen die neuen Superstars! Hier hatten die Münchner nichts mehr daneben zu stellen, nur Lucia Lacarra, die im Pas de deux aus dem 2. Akt des „Schwanensee“, gestützt auf Roman Lazik, ihre Stärken im Adagio zelebrierte und dabei mit souveräner Phrasierung und fließenden Port de bras faszinierte.
Den Höhepunkt markierte, obwohl oft gesehen, als vorletzte wieder Ulyana Lopatkina mit Fokines „Der Sterbende Schwan“: Bei ihr war die Durchdringung physisch wie geistig souverän in jede Bewegung integriert und in perfekter Stilisierung aufgehoben, und die Sekundenbruchteile realistischen Sterbens, die sie zwei Mal dezent einsetzte, machten diese Minuten noch faszinierender.
Viel russische Virtuosität, nicht immer staubfrei, und einige Tänzer des Staatsballetts, die sich prima darstellten, so kann man diese Gala resümieren, mit der die Münchner tollen Tage des Balletts zu Ende gingen. Beeindruckend zeigte dieses Gastspiel vor allem, wie viele immer neue Supertalente das Mariinsky Theater auf der Basis der Waganova-Akademie hervorbringt und wie hervorragend sein Corps de ballet arbeitet. Man konnte jedoch beobachten, dass unsere besten Solisten auch ihre Vorzüge haben. Mehr von Petipa für München kommt schon bald aus Moskau.
Vorstellungsdatum: 31.03.2007
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