Das Bayerische Staatsballett eröffnet seine Saison mit „Onegin“ von Cranko
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Polina Semionova als Tatjana in John Crankos „Onegin“
Dreiundzwanzig Jahre jung, hat sich Polina Semionova, Starballerina in Berlin und wo immer sie aufzutreten beliebt, am Samstag nun auch ins Herz des Stuttgarter Ballettvolks getanzt. Und zwar in einer Galavorstellung von „Onegin“, dem doch wohl persönlichsten Ballett seines Schöpfers John Cranko, das in diesen Tagen in seiner endgültigen Fassung seinen vierzigsten Geburtstag feiert – also gerade halb so ist, wie er es in diesem Jahre geworden wäre.
Ein Produkt der Moskauer Bolschoi-Schule, glänzt Semionova mit ihrer feinen aristokratischen Linie und ihrer eleganten, nie bravourös auftrumpfenden Technik als ein Ausnahmetalent von internationalem Format. Eine eher stille Tänzerin ist sie am Anfang so ganz in die empfindsame Romanwelt Richardsons versunken, dass sie die Begegnung mit dem weltmännischen Dandy Onegin wie ein Schlag trifft: „Was ist nur los mit mir? Ich brenne, ich weiß nicht – Doch ach, ich habe nicht die Kraft, mein Herz zu zwingen ...“ Und so strömt ihr Herz über, und in der genialen Spiegel-Brief-Szene beginnen wir zu ahnen, wozu dieses Herz fähig ist. Hier bricht eine Leidenschaft aus ihr heraus, die ganz Tanz ist, und die ihre hellste Glut in dem Abschieds-Pas-de-deux findet, wenn sie Onegin in ihrem Petersburger Adelspalais zurückweist.
Wer Semionova in Berlin gesehen hat, der beginnt zu ahnen, was für sie dieser Transfer aus der tristen provinzbürgerlichen Berliner Nüchternheit der Elizabeth Daltonschen Umgebung in die Jürgen Rosesche Pracht der Petersburg-Stuttgarter Adels-Architektur bedeutet. Polina Semionova hat sich an diesem Abend eine neue Freiheit ertanzt. Und kann sich nun mit Hilfe der Berliner Ballettmeisterin Valentina Savina, die dieses Ballett von ihrer Tätigkeit in Stuttgart her in und auswendig kennt, noch die menschliche Reife erarbeiten, der Marcia Haydée in den langen Jahren ihrer Karriere ihren Stempel aufgeprägt hat, und die diese Rolle in den maßstäblichen Interpretationen etwa der vierundvierzigjährigen Makarova, der neunundvierzigjährigen Seymour und der fünfzigjährigen Maximova ausgezeichnet hat. Noch knarren manchmal die Gelenke in den komplizierten Übergängen der Pas de deux, doch ganz bei sich selbst ist sie in ihren eine so wunderbare Reinheit verströmenden Soli.
Hier offenbart sich eine Seele von bezwingender Femininität, jenseits aller bravourösen theatralischen Schminke. Semionova ist die Sonne dieser Aufführung, die mit ihren Strahlen auch allen anderen Mitwirkenden neuen Glanz verleiht. Dem narzisstischen Onegin von Jiří Jelinek, der in dem bewussten Spiegel-Pas-d-deux eine fast dämonische Verführungskraft entwickelt, der leichtherzig flirtenden Katja Wünsche, die als Olga daran erinnert, dass sie sich bei Puschkin nach dem Tod Lenskis rasch mit einem Kavallerieoffizier tröstet, denn wie kann man sich so im Handumdrehen einem anderen zuwenden, wenn dieser Lenski in Stuttgart doch die warmherzige Güte eines Evan McKie verströmt, und nicht zuletzt dem fürstlich-väterlichen Gremin von Nikolay Godunov.
Auch die Corps-Tänze, die rustikalen Bauernburschen, die lieblichen Choworod-Reigen der Mädchen, die Chassés und Polonaisen der Festgesellschaft funkeln an diesem Abend wie frisch poliert. Und für den Rest an Glanz und Passioniertheit, aber auch an Weltmüdigkeit und Trauer sorgen Tschaikowsky und James Tuggle mit seiner Orchester-Equipe. Es ist eine Vorstellung, die einem wieder nachdrücklich bewusstwerden lässt, wie glücklich wir uns schätzen können, eine Kompanie wie das Stuttgarter Ballett in unseren Mauern zu haben. Und noch glücklicher wären wir, wenn wir endlich, endlich diesen „Onegin“ (und auch Crankos „Romeo und Julia“) auch bei uns zu Hause auf DVD verfügbar hätten!
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