Tausend zu zehn
Martin Schläpfer und das ballettmainz im Mainzer Dom
Nick Hobbs, Hans van Manen und Paul Lightfoot/Sol León bei ballettmainz XXVII
Ein Missgeschick: das koeglerjournal über die neueste Mainzer Premiere im Zug von Mainz nach Düsseldorf geschrieben – und mit allen Unterlagen im Zug liegen gelassen. Hier also nochmals neu – und verschlankt (ohne all die hübschen Pointen, die ich mir im Original hatte einfallen lassen).
Also: zum 27. Male ballettmainz – und eines der wenigen Male, dass kein Schläpfer auf dem Programm stand. Eine Probe für den Ernstfall im Herbst des nächsten Jahres, für den die Klimaexperten einen rapiden Temperatursturz voraussehen, wenn Mainzens Martin wie seinerzeit Siegfried rheinaufwärts gen Düsseldorf schwimmt. Davon war an diesem Abend noch nichts zu merken. Das Publikum so begeistert wie seit neun Jahren. Die Wahl der Stücke sichtlich mit dem Gütesiegel Made in Mayence geprägt, und wenn schon kein Schläpfer, so schienen doch alle drei der Schläpferschen Geistesbruderschaft verbunden.
Nick Hobbs, als Tänzer im ballettmainz groß geworden, fungiert heute als „Choreographer in residence“ der Kompanie. Van Manen wird man als langjährigen Paten von ballettmainz und seines Chefs bezeichnen dürfen. Und Lightfoot/León haben als Tänzer beim NDT Karriere gemacht und sind heute dessen „Choreographers in residence“. In der Tat kann man Nick Hobbs‘ bei dieser Gelegenheit uraufgeführte „Métamorphoses nocturnes“ zu György Ligetis frühem, noch sehr Bartók-nahem Streichquartett auch als nächtliche Seelenwanderung von acht Tänzerpaaren durch die Labyrinthe Schläpferscher Abgründe und tastende Annäherungsversuche sehen. Ein starkes, dichtes Stück, von den Mainzern getanzt, als seien sie von Schläpfer blutgedopt worden.
Van Manens „Kammerballett“ von 1995 für vier Paare sodann als ein Exerzitium des Van-Manen-Kanons: ganz auf Klarheit, Transparenz, Linearität, Musikalität, Überschaubarkeit der Strukturen und Kompatibilität der individuellen Persönlichkeitsprofile gestellt. Wobei ich mich fragte, was denn wohl zuerst da war: der Mittelteil mit den Soli für drei Staffetten-Tänzer oder das populäre „Solo ...“, diese rasante Tempo-Etüde.
Und dann also der Finalknüller des Abends: Lightfoot/Leóns „SH-BOOM!“, vom Publikum mit stehenden Ovationen bejubelt. oe blieb indessen sitzen, wahrscheinlich bin ich denn doch zu alt für diesen verzappelten Groteskhumor (wie ich ja auch für Stefan Raab und all diese Comedy-Konsorten nichts übrighabe). Nie zuvor kam ich mir so aus der Zeit gefallen vor wie nach diesem Finale.
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