Das Ende aller Zuckungen

Das Cullberg-Ballett mit einer deutschen Erstaufführung

Ludwigsburg, 24/11/2008

Gleißend hell schwenkt ein Suchscheinwerfer übers Publikum, als stünde ein Leuchtturm auf der dunklen Bühne des Forums am Schlosspark. Es geht um Licht beim Gastspiel des schwedischen Cullberg-Balletts – und um seine Abwesenheit. Zum vierzigsten Geburtstag der renommierten modernen Tanzkompanie schuf ihr Direktor Johan Inger im letzten Jahr das düstere „Point of Eclipse“, jetzt feierte die einstündige Produktion in Ludwigsburg Deutschlandpremiere.

Die Bühne ist eine riesige, quadratische Black Box, der gesamte Boden von einer Art Asche bedeckt. In der Mitte der Hinterwand glimmt ein kreisrundes gelbes Licht – Sonne oder Mond, wer weiß, jedenfalls so klein und blass, dass es die verbrannte Erde unten schon nicht mehr erleuchten kann. Im Lauf des einstündigen Stückes wird die Scheibe zur dünnen Sichel und verflüchtigt sich schließlich ganz – dieser „Point of Eclipse“, das Eintreten der Finsternis, gibt dem Stück den Titel. Weit oben rechts hängt ein weißes Rechteck und schaut an der gegenüberliegenden Wand sein schwarzes Pendant an, aus den Lautsprechern tröpfeln minimalistisch die Töne eines elektronischen Instrumentes. Menschen stehen herum, schauen die Wand an oder zucken vor sich hin. Es herrscht Ratlosigkeit in der schwarzen Leere, auch wenn der schwedische Choreograf später seine Tänzer in Solos oder parallelen Grüppchen durch die Asche schickt, in dem unexakten, ein wenig zu beliebigen modernen Stil, den wir aus Johan Ingers früheren Arbeiten für die Kompanie oder das Nederlands Dans Theater kennen.

Die Leitung des Cullberg-Balletts hatte er vor fünf Jahren übernommen, aber es fällt der inzwischen verkleinerten Truppe wohl immer schwerer, dem großen Namen gerecht zu werden, den Gründerin Birgit Cullberg und ihr Sohn Mats Ek der Kompanie einst erworben hatten; vielleicht hört Inger deshalb zum Saisonende wieder auf.

Kaltes Fabriklicht von rechts ersetzt das warme Licht im Hintergrund, später wird ein Rhythmus hörbar, ein atmosphärisches Sirren und Rauschen (die Musik stammt vom schwedischen Computerkomponisten Jean-Louis Huhta). Das schwarze Loch wird zum Gefängnis, zur geschlossenen Gesellschaft, in der die Tänzer von Wand zu Wand rennen wie ein Tier im Käfig, wo das Kollektiv wie ein Schwarm herumirrt, wie eine kopflose Sekte - nacheinander rollen, nein rotieren die Tänzer über den Aschenboden, laufen hintereinander her, rennen immer wieder von hinten nach vorne. Und dann doch wieder hinaus aus der gemeinschaftlichen Verzweiflung, aus dem Ausgeliefertsein.

Ob die Finsternis den Tod symbolisiert und warum die Menschen ihm dann doch wieder davonlaufen, warum Johan Inger die Wirkung des kollektiven Wahns am Ende so verpuffen lässt - wer weiß es. Vielleicht der rätselhafte Mann im schwarzen Anzug, der das komplette Stück über in der hinteren linken Ecke vor sich hin zuckt wie der Klassenkasper, ausgestoßen und unbeachtet vom mondsüchtigen Kollektiv. Was für ein schöner, fast kathartischer Moment, wenn wenige Sekunden vor dem letzten Blackout endlich Ruhe in seinen Körper einkehrt. Der Tod, das Ende aller Zuckungen?

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