Finster, Finster...

Das Cullberg Ballet eröffnet die 19. euro-scene in der Leipziger Oper

Leipzig, 04/11/2009

„Sonnenfinsternis“, so das Festivalmotto in Leipzig, 20 Jahre nach Mauerfall, „dem Einsturz gesellschaftlicher Grundfesten“, schreibt Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff und verweist darauf, dass dieses Thema „als Sinnbild für eine außergewöhnliche Situation, für Gefahr und Angst, für das Geheimnis der Dunkelheit, doch auch für Hoffnung auf neues Licht“, stehe. Programmatisch gibt es zur Eröffnung Johann Ingers Choreografie „Point of eclipse“ mit dem Cullberg Ballet, an jenem Ort, wo das Ensemble 1970 schon einmal gastierte.

Ingers Moment der Verfinsterung von 2007 zu elektronischen Klängen von Jean-Louis Huhta dauert auf der schwarzen Bühne von Jens Sethzman knapp eine Stunde. 14 Nachtgestalten, vorwiegend in schwarzer Kleidung, durchqueren, umkreisen den Raum. Sie kommen, sie stehen, sie gehen. Sie halten inne, sie schlittern über die schwarze Eisfläche, die mit schwarzer Asche bestreut ist. Es gibt beeindruckende solistische Leistungen, knappe Korrespondenzen der Körper, die in synchrone Anläufe führen, ohne dass so etwas wie Nähe zustande käme. Viel Abwehr, vertrackte Gruppenkonstellationen, dennoch Energietransfer, verebbend, sich verlierend in der inneren und äußeren Dunkelheit dieses sich so bedeutsam gebenden Nachtstücks, das vielleicht aber doch nur in die Nähe der Tiefe oder der Abgründe des gewählten Themas gelangt. Ganz hinten, links vor der schwarzen Wand, eine schlotternde Gestalt, instabile Haltung, immer mit dem Rücken zu uns, ein Überlebender der Katastrophe, deren Überreste das schwarze Eis bedecken? Schwarzes Milcheis? Es spricht eben nicht so sehr für den knappen Abend, dass bald die Fragen nach Sinn und Bedeutung die Freiheit von Blick und Empfindung behindern. Ein kreisender Lichtschein macht harte Schlagschatten, attraktive Aufreihungen in einer diagonalen Lichtgasse. Über der Szene schwebt eine trübe Lichtquelle, Sonne oder Mond, wenn sie nach oben entschwindet, wechselt das Licht; fahles Grau. Zurück in die Schwärze, tief hinein, man muss sich wälzen in der Asche, dann knapp, alle aufrecht, die Arme hoch erhoben über den Köpfen, die Hände nach innen geknickt, die Blicke ins Irgendwo. Doch noch Lichtblicke? Von der einstigen Verbindung des Cullberg Ballet klassischer Techniken mit denen des Ausdruckstanzes ist der Wille zum Ausdruck geblieben. Bedeutsamkeit. Der schräge Humor, der über das Lachen geradewegs in die Abgründe nachtschwarzer Seelentiefe führte, ist verschwunden. Geblieben und euphorisch vom Publikum in Leipzig bejubelt ist eine Gruppe außergewöhnlich exzellenter Tänzerinnen und Tänzer.

Die 19. euro-scene bietet bis zum 8. November insgesamt 13 Gastspiele aus 10 Ländern, Tanz, Performance und Theater, alles zum Thema „Sonnenfinsternis“. Zum 9. Mal wird in diesem Jahr das beste deutsche Tanzsolo gekürt.

www.euro-scene.de

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