Der Tanz sucht Verbündete

Viel Spartenübergreifendes beim 20. Stuttgarter Theaterpreis

Stuttgart, 09/12/2008

Immerhin beim Rahmenprogramm zur Preisverleihung war die Stimmung am Überkochen: Bei Hip-Hop und Electric Boogaloo tobte das junge, spontane Tanzpublikum, das seit Gauthier Dance zum Stuttgarter Theaterhaus gehört. Die Gruppe E-Motion aus Düsseldorf beeindruckte mit der Ehrlichkeit ihrer Suche nach „Realness“, nach der Authentizität im Hip-Hop, der Electric-Boogaloo-Weltmeister Poppin Hood reagierte mit unglaublicher Körperbeherrschung als überdrehter Roboter auf das kleinste Geräusch.

Ganz so brandaktuell und hip waren die getanzten Wettbewerbsbeiträge für den 20. Stuttgarter Theaterpreis nicht, aber trotzdem machte der Überblick über die freie Tanzszene Baden-Württembergs in diesem Jahr großen Spaß, so abwechslungsreich und jung präsentierten sich die sieben ausgewählten Produktionen. Vier Tage lang konkurrierten im Theaterhaus Kompanien und Choreografen aus Stuttgart, Tübingen, Freiburg und Konstanz um den 20. Stuttgarter Theaterpreis, der zum zweiten Mal im Zeichen des Tanzes stand; nächstes Jahr ist dann wieder das Schauspiel dran. Begleitet wurde der Wettbewerb von einem Symposium zur Lage der freien Theater in Baden-Württemberg. Ausgelobt waren Preise im Wert von insgesamt 15.000 Euro, gestiftet von der Landeshauptstadt und anderen Sponsoren aus dem kulturellen Bereich. Der Trend dieses Jahr: Der Tanz sucht sich Verbündete, denn in fast allen Produktionen kamen andere Sparten mit ins Spiel, Figuren- oder Sprechtheater, Installation oder Bildende Kunst.

Ganz ohne Tanz sogar, allein in traumverlorenen Zeitlupe-Bewegungen erzählten das Stuttgarter Trio Lisa Seidel-Kukuk, Marcus Charles Pickering und Joachim Fleischer in „Schließe deine Augen“ von surrealen Nachtmahren - ein poetisches, verschmitztes Traumtheater zu der witzigsten Musikauswahl seit langem (oder wann haben Sie zuletzt einen Bariton Koloraturen auf Arabisch jodeln gehört?). Ebenfalls surreal, aber sehr viel dichter und tiefgründiger war die Produktion „Cronosreflex“ aus Freiburg: Ingo Bracke, Michael Langeneckert, Ralf Peter und Bernd Wegener erhielten den Sonderpreis für eine herausragende künstlerische Leistung. Völlig gleichberechtigt durchdrangen sich hier die jeweilige Künste eines Sängers und Sprachkünstlers, eines Tänzers, eines Licht- und Videoinstallateurs und eines Klangmagiers, der fremdartige Töne aus Klangschalen tröpfeln ließ.

Den Publikumspreis erhielt das Wanke-Ensemble und Figurentheater aus Stuttgart und Tübingen für „Carambolage“, eine Hommage an Oskar Schlemmer. Mangels einer herausragenden tänzerischen Leistung (kein Wunder bei so viel Cross-over) wurde dieser Preis kurzfristig umgewidmet und als Auszeichnung für das interessanteste Konzept verliehen. Ihn erhielt mit Nina Kurzeja eine der wichtigsten Choreografinnen der Stuttgarter freien Szene für ihr beklemmendes Folter-Stück „Katastrophe. Die Schule der Gottlosigkeit“, das im Februar im Theaterhaus uraufgeführt worden war. Auch bei dieser freien Paraphrase über Texte von Samuel Beckett und Aleksandar Tisma spielen Sprechtheater, Tanz und Gesang mit frappierender Wirkung ineinander. Mit dem Hauptpreis schließlich zeichnete die fünfköpfige Jury die junge Choreografin Nicki Liszta für ihr rabiates und herrlich absurdes Drei-Frauen-Stück „zwischen häuten“ aus, uraufgeführt im Mai: eine neue, freche Handschrift in der Stuttgarter Tanzszene, die mit einer solchen Förderung ganz sicher für weitere Überraschungen sorgt.

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