Verkopft, verkauft, verschaukelt

Kommentar zum 23. Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis

Stuttgart, 24/04/2013

„Der Neustart ist geglückt“ so die Pressemitteilung des Landesfestivals der Freien Theater Baden-Württemberg. Ziel des Treffens freischaffender Tänzer, Choreografen, Performer, Schauspieler und Regisseure im Stuttgarter Theaterhaus ist ein Wettbewerb, um die besten Produktionen in Baden-Württemberg zu prämieren. Nach 22 Jahren, in denen der Stuttgarter Theaterpreis alternierend in einem Jahr für Tanz, im darauffolgenden für Theater ausgelobt und veranstaltet wurde, ist er nach fast dreijähriger Pause mit neuem Titel als „Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis“ wieder auferstanden und wird nun biennal, nicht nur den Disziplinen Tanz und Theater Rechnung tragen, sondern auch spartenübergreifende Performances einbeziehen.

An die Performance „Das Stueck (Intervention)“ ging denn auch der Hauptpreis Theater (6.000 Euro), womit nicht nur das akribisch durchkomponierte Stück des Stuttgarter Künstlerpaares Melanie Mohren und Bernhard Herbordt ausgezeichnet wurde, sondern dem Trend zum verkopften Theater das Wort geredet wurde.

Drei der goldenen Pferdetrophäen hat der Mannheimer Ko-Produzent zeitraumexit mitgenommen: Den Hauptpreis Tanz (6.000 Euro) erhielten Aloun Marchal, Simon Tanguy und Roger Sala Reyner für „Gerro, Minos and Him“, in dem die drei Tänzer mit Witz, Charme und Selbstironie männlich-menschliches Mit- und Gegeneinander ausloten. Das Duo Alma Söderberg und Jolika Sudermann überzeugte sowohl die Jury, die ihm für „A Talk“ den Preis für außergewöhnliche darstellerische Leistung (2.000 Euro) zusprach, als auch die Zuschauer, die den Mix aus Body-Percussion, Small- und Jabbertalk mit dem Publikumspreis (3.000 Euro) honorierten.

Damen-Duo wie Männer-Trio kommen aus Amsterdam, produzieren also im kulturellen Klima der Niederlande, die mit fünf Ausbildungsstätten für zeitgenössischen Tanz und einer Vielzahl an kleinen Theatern punkten, kurz ein Eldorado für Freischaffende, mit dem Baden-Württemberg (zwei Ausbildungsstätten für Ballett, kein Auftrittsort der Freien in Stuttgart – die Liste ließe sich fortsetzen) nicht mithalten kann. Dass einer der Juroren mit zeitraumexit assoziiert ist, sei nur am Rande erwähnt.

Für die Liaison Mannheim-Amsterdam hat sich der Verkaufstrick gelohnt, 11.000 Euro der Gesamtsumme von 21.000 Euro flossen dorthin, 6.000 Euro nach Stuttgart, blieben also noch 4.000 Euro, die der Jury einiges Kopfzerbrechen bereitet haben: „Wir haben uns entschlossen, den Sonderpreis für eine herausragende künstlerische Leistung in einer Kategorie zu vergeben, die es gängigerweise so noch gar nicht gibt, nämlich: Atmosphäre. Das Zusammenspiel von Soundcollage, Raumkonzept, Bühne und Licht in der Produktion „twilight/echo“ fanden wir herausragend in der Art, wie hier souverän und gleichzeitig subtil eine Stimmung erzeugt wird, die den Abend ganz wesentlich trägt. Daher freuen wir uns, diesen Preis an das Team Jens Dreske und Tom Schneider zu vergeben, die für Musik, Bühne und Licht der Produktion verantwortlich zeichnen...“. Die Begründung der sieben Juroren liest sich wie ein Loblied auf das Theater der Bühnenbild-Regisseure, die in den 70er und 80er Jahre einen Paradigmenwechsel von Text zum Bild eingeleitet haben.

Verständlich, denn in diesem Stück, eine Kooperation mit dem Kunstverein Freiburg, geht es tatsächlich um Bildende Kunst, genauer um Fotografie. In der Hommage an einen amerikanischen Fotografen, von dessen Bild-Inszenierungen gesagt wird, sie repräsentieren potentiell die narrative Breite eines gesamten Spielfilms, sind die beiden Tänzerinnen Beiwerk, ebenso beliebig wie die Gegenstände, die unter dem Rollrasen versteckt sind (Apropos Rollrasen: Stephanie Thiersches „Under green Ground“ lässt grüßen) oder die drei Tanzsequenzen, die in die rasengepflegte Langeweile etwas Bewegung bringen.

Neben dem belebenden Duft von grünem Gras ist das exzessive schnippeln von Hälmchen mit einer Nagelschere, der bleibende Eindruck des Stückes. Schnell vergessen möchte man die Peinlichkeit, Zuschauer auf den Rasen zu bitten, durch deren Beine Golfbällchen gebolzt werden oder der Versuch zu schaukeln, auf einer Schaukel, die so nah an der Wand hängt, dass der geringste Schwung zur Kollision führt. Ein Schelm, der sich da nicht verschaukelt fühlt.

Statt eines Fazits die Frage: Wie kann es sein, dass unter allen freischaffenden Tänzerinnen und Tänzern, Choreografinnen und Choreografen, die in Baden-Württemberg kreativ tätig sind, nicht ein einziger preiswürdig zu sein scheint! Anders gesagt, soll der Preis nicht im machtpolitischen Geplänkel und Proporz der Städte Mannheim, Freiburg und Stuttgart zerrieben werden, muss der zeitgenössische Tanz aufgewertet werden, müssen die Tanzschaffenden ihr eigenes Metier selbstbewusster in den Vordergrund rücken. Mehr Tanzkompetenz muss her, mehr Respekt für leibliche Präsenz, mehr öffentlicher Diskurs und mehr Akzeptanz für Klartext.

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