Forsythe als Guru und Gambler

„Impressing the Czar“ ist ein aufregendes Ballett geblieben

Basel, 12/04/2008

Mit einem Großspektakel wurde in der Schweiz das Internationale Tanzfestival Steps#11 eröffnet: William Forsythes abendfüllendes Werk „Impressing the Czar“ (uraufgeführt 1988) ging dreimal über die Grosse Bühne des Theaters Basel. Und zwar in einer Neueinstudierung – nicht durch Forsythes eigene heutige Company, die viel zu klein dafür wäre, sondern durch das Royal Ballet of Flanders aus Antwerpen (Belgien) mit gut 50 Tanzenden.

„Impressing the Czar“ zog Publikum aus der ganzen Schweiz magisch an, Tanzschaffende und Kritiker, Jung und Alt, Frauen und Männer. Viele waren am Ende der Vorstellung irritiert, aufgewühlt, erregt, auch wenn Forsythes eigenwillige Ballettsprache inzwischen nicht mehr so revolutionär wirkt. Doch ihre freche Attacke im Zeichen von Highspeed und Hightech verblüfft immer noch. Und reißt mit. Wie kam das Royal Ballet of Flanders als erste und einzige Fremdkompanie zu den vollständigen Aufführungsrechten für „Impressing the Czar“? (Nur den daraus stammende Teil „In the Middle, Somewhat Elevated“ hat Forsythe an diverse andere Ensembles vergeben.) Das liegt an Kathryn Bennetts, seit 2005 künstlerische Direktorin des Flanders-Ensembles. Vorher war sie 15 Jahre lang Ballettmeisterin bei Forsythe und seiner 2004 aufgelösten Frankfurter Truppe. Bennett kennt die Stücke aus dieser Zeit à fonds, den von 1988-94 gespielten „Czar“ inklusive, und war deshalb wie kaum jemand berufen, die Neuinszenierung zu organisieren. Forsythe hat die Antwerpener Fassung am Ende auch selber angeschaut und seinen Segen dazu gegeben.

„Impressing the Czar“ ist ein abendfüllendes Handlungsballett ohne Handlung, mit vier ganz unterschiedlichen Szenen, die nur durch dünne Fäden miteinander verknüpft sind. Dazu gehören: Die Musik von Forsythes Hauskomponisten Thom Willems, die sich gelegentlich mit andern Klängen, bis hin zu Beethoven, vermengt; ein goldenes Kirschenpaar, das als einziges Requisit bei „In the Middle“ von der Decke hängt; oder zwei Mädchen in Schuluniform, die durch die Anfangsszene geistern und im Schlussbild mit Dutzenden von Kolleginnen über die Bühne fegen.

„Potemkin’s Unterschrift“ heißt der Titel der ersten Szene, der üppigsten von allen. Das surreale Bühnenbild in Gold, Braun und Elfenbein mit Requisiten wie Herrscherthron oder Schachspiel wirkt kostbar. Frauen auf Spitzen und Männer in historischen Kostümen huschen über die Bühne, vor- und rückwärts, meist im Affentempo. Es könnten parodistisch verzerrte Gestalten am Zarenhof von St. Petersburg sein. Dazwischen tauchen Figuren aus ganz anderen Welten auf: besagte College-Girls, ein hohlkreuziger Urmensch, ein paar moderne Bürohengste usw. Die so verschiedenen Personen begegnen einander mit Interesse, aber auch Aggression und Häme. Sie tragen allerlei Waffen mit sich - Speere, Bogen, Dreizacke, die sie für Spiele wie für Kriege einsetzen. Tanzteufel aus der Trickkiste.

Die zweite Szene, „In the Middle, Somewhat Elevated“ mit dem erwähnten goldenen Kirschenpaar an der Decke, könnte aus einem Lehrfilm über Forsythes bahnbrechenden Tanzstil stammen: Klassik/Neoklassik werden in ihre Bestandteile zerlegt, verdreht, verzogen, frisch zusammengefügt, mit neuen Bindegliedern versehen. Der vertraute Anblick von klassischem Tanz geht verloren, dafür zeigen sich neue Qualitäten. Die sechs Tänzerinnen und drei Tänzer von „In the Middle“ tragen türkis-schwarze Trikots, bewegen sich bei aller Leichtfüßigkeit äußerst athletisch. Zunächst könnte man an eine Balanchine-Choreografie denken, doch dann fahren unsichtbare Messer zwischen die Arrangements. „Unpassende“ Körperbewegungen mischen sich in die Klassik. Zwischendurch latschen die Männer und Frauen über die Bühne, als seien sie beim Spazieren – um sich im nächsten Moment wieder in konzentrierte Perfektionisten zu verwandeln. Eine spannende Tanzetude.

Die beiden letzten Szenen wirken übermütig, oberflächlich – hier zeigt sich Forsythe als Gambler. „La Maison de Mezzo-Prezzo“ (Musik Eva Crossman-Hecht) enthält Auftritte, die an eine Auktion erinnert wie an TV-Shows, an Basler Fasnacht wie an Zirkus: mit phantastischen Kostümen, lustigen Tricks und elend viel Gequatsche. „Bongo Bongo Nageela & Mr. Pnut Goes to the Big Top“ fährt dann nochmals voll ein: Ein Heer von Schulmädchen (und als solche verkleidete Jungen) in blauen Faltenröckchen stürmen auf die Bühne, führen einen atemberaubenden Reigen auf, mit rastlosem Hopsen und Stampfen und Rennen. Ein Gemisch von Stammestanz und Disco. Am Ende ist man ganz elektrisiert und freut sich, so viele Aspekte des früheren Forsythe wieder entdeckt zu haben. Dank sei dem belgischen Royal Ballet of Flanders! Der heutige Forsythe Company hat sich inzwischen ganz anderen Bereichen zugewandt: Bis hin zu den emotional und intellektuell aufgeladenen, bewegungsreichen, aber tanzarmen Installationen.


Das ganze Programm von Steps#11 (10.-30.April) finden Sie unter www.steps.ch

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