Intensiver geht's nimmer
Saburo Teshigawara und Rihoko Sato tanzen „Tristan und Isolde“
Trotz aller Begrenztheit und Endlichkeit könne der Körper durch die Kunst in ewigen Kontakt mit der Natur treten, sagt Saburo Teshigawara lächelnd auf seine asiatisch feine, nie dozierende Weise. Was er damit und auch mit der Suche nach der perfekten Harmonie meint, zeigt in zwei 2002 abgefilmten Beispielen eine bei Arthaus Musik erschienene DVD. Sie bündelt einen reinen Tanzfilm mit der Aufzeichnung einer Bühnensequenz und legt als Zubrot ein Fernsehporträt des 1953 in Tokio geborenen Innovators drauf. Dass es ihn bei den Aufnahmen zu ebenjenen zwei Stücken beobachtet und zwischen den Drehs interviewt, rundet den Gesamteindruck bestens ab.
Eine Erzählung Ilse Aichingers gab den Anstoß zum gleichnamigen Tanzfilm „Der Gefesselte“. Es ist dies die poetisch gleichnishafte Geschichte eines sich in seinen Zwängen freiwillig bescheidenden Mannes, dessen virtuose Art, sich in Fesseln zu bewegen, ihn zur Zirkusattraktion werden lässt. Eine Frau und ein entflohener Wolf wecken zärtliche Gefühle in ihm, ohne dass es zu wirklicher Nähe kommt. Als die Frau dem Gefesselten im finalen Kampf mit dem Tier die Stricke durchschneidet, eilt er unbeholfen, dann stürmend einer neuen, ungewissen Freiheit entgegen. Trauervoll intensive Musik aus Streichquartetten Dmitri Schostakowitschs konturiert das Geschehen – ein enorm spannungsvolles Quartett auch der großen Interpreten.
Aichinger selbst liest Teile ihres Texts, Choreograf Teshigawara tanzt den Titelpart: allein auf einer bayerischen Wiese, mit der ungemein sensibel reagierenden Schauspielerin Corinna Harfouch auf einer wasserumspülten spitzen Landzunge inmitten steinigen Gerölls, mit dem hochragenden Ballettsolisten José-Maria Tirado Nevada als Wolf in neblig nächtlichem Wald. In einer grasüberwucherten Arena treffen die drei dann schicksalhaft zusammen. Regisseur Jan Schmidt-Garre und Kameramann Martin Farkas, was - zufällig? - auf ungarisch Wolf bedeutet, setzen Teshigawaras fließende Bewegungssprache, die alles Konkrete vermeidet und dennoch überaus emotionale Beziehungen schafft, in beeindruckend atmosphärische Bilder um. Viel Raum lassen sie auch der eigenen Interpretation.
Mehr noch gilt dies für das Mittelstück aus Teshigawaras 1998 uraufgeführtem, international erfolgreichem Dreiteiler „Absolute Zero“. Den absoluten Nullpunkt von Bewegung sucht er darin sichtbar zu machen, und das gelingt ihm fast beängstigend schön in jenem halbstündigen Duett mit seiner langjährigen Begleiterin Kei Miyata. Wie zwei ferne Gestirne in weiß gerahmtem, gepunktetem Firmament ziehen sie ihre Bahn, einander nie berührend, indes durch Atem, Rhythmus, Energielinien einander verbunden. Die traumverlorene Meditation mit ihrem Stillstand, ihren schwingenden, verwinkelten, gekurvten Bewegungsabläufen, den extrem gedehnten Armführungen scheint das ganze Universum zu umfassen und hat geradezu kathartische Wirkung auf den Betrachter. Sphärisch repetitive Klaviermusik federt den selbstvergessen zärtlichen, künstlerisch freilich klar kalkulierten Suchvorgang samtweich ab.
Wie sehr alle Recherche bei Teshigawara ihren Urgrund in der Natur und im Natürlichen sieht, macht das Filmporträt „Still Move“ deutlich. Es zeigt ihn bei der Einstudierung mit Harfouch und Nevada, die er in seine Prinzipien einführt. Etwa, dass seine Choreografie unzählbar sei, aber dennoch funktioniere: über den Atem als Rhythmus, wie er die Umgebung und auch den Menschen prägt. Kunst und Natur haben ihre Taktung, sagt er. Sein Tanz sei heilig, bescheinigt ihm im Interview Akram Khan, ein anderer Großer des zeitgenössischen Tanzes. So wie aus Regentropfen ungeplant ein Fluss wird, soll aus dem Bewegungsstrom Tanz entstehen, illustriert Teshigawara seine Kompositionsweise bildhaft. Und ist damit wieder bei der Natur, als dessen Teil er sich bescheiden empfindet. Arthaus Musik, Saburo Teshigawara:
„Bound - Der Gefesselte“, „Absolute Zero“, „Still Move“. Dance Films by Jan Schmidt-Garre, 125 min, € 22,99
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