Stationen eines singulären Lebens

Henschel gratuliert „Nurejew“ zum 70. mit einem Prachtband

Berlin, 28/03/2008

Als Rudolf Nurejew Anfang der 1990er dem Ballett der Staatsoper Unter den Linden sein „Dornröschen“ einstudierte, war er schon sichtlich von schwerer Krankheit gezeichnet. Auf der Bühne, in der Rolle der Carabosse, blühte er nochmals auf: Der Faszination seiner Persönlichkeit hatten die anderen Tänzer wenig entgegenzusetzen, auch wenn er dem maroden Körper außer exaltierten Gesten und exzentrischen Gängen kaum mehr abverlangen konnte. Es sollte dies sein vorletzter Auftritt überhaupt werden. Die strahlenden Jahre des furiosesten Tänzers seiner Ära lagen da bereits lange hinter ihm, ein Leben im Zeitraffertempo, Welt und Kunst bis zur Neige auskostend. Besonders seit seiner spektakulären Flucht 1961 auf dem Pariser Flughafen, fort vom Kirow-Ballett, in die bald weit geöffneten Arme führender Kompanien des Westens, stand er, fast zu Tode fotografiert, unaufhörlich im Blickpunkt der Medien.

Zahllose Bildbände dokumentieren seine triumphale Karriere, die nur der seines Landsmanns Nijinsky gleicht. Dass es dennoch bislang unpubliziertes Material gibt, grenzt an ein Wunder. Pünktlich zu Nurejews 70. Geburtstag legt Henschel dieses Wunder vor. „Nurejew. Bilder eines Lebens“ in elegant dunkelrotem Einband enthält unter den 150 großenteils ganzseitigen Schnappschüssen viele Erstveröffentlichungen. Vom Studenten in der Leningrader Waganowa-Akademie spannt sich der Bogen über seine großen Rolleninterpretationen bis zum hageren, durch wochenlange Tourneen ausgezehrten Starballerino der späten Jahre. Als Ballettdirektor, Choreograf, Dirigent rückt er ebenso ins Bild wie in vielen Privatporträts. Meist sind sie schwarzweiß und erfassen so das kometenhaft Ungefähre einer Leuchterscheinung von betörend sinnlicher Schönheit, auch den Dandy in Seide oder Leder, in prominenter oder erlauchter Gesellschaft. Je mehr er körperlich verfiel, desto stechender wurde sein Blick, als wolle er durchdringen, aufspießen, festhalten, was er bald verlieren würde.

Am Ende, ein Jahr vor seinem frühen Tod, steht das uneitle Porträt eines Müden, Zerstörten, Gehetzten. Dem Tanz, besonders dem männlichen, hat er bis dahin mehr gegeben als jeder seiner Vorgänger. Vladimir Malakhov nennt ihn im Vorwort eine Urgewalt, ein Ereignis, Ana Veblen überschreibt ihren biografischen Essay „Der dunkle Prinz“. Biografische Daten, Rollenverzeichnis sowie eine Liste seiner prinzlichen Choreografien und Filme komplettiert eine Edition, die ganz von den wunderbar intensiven fotografischen Kommentaren zu einer singulären Persönlichkeit lebt.

Pierre-Henri Verlhac (Hrsg.): „Nurejew. Bilder eines Lebens“, Henschel Verlag Berlin, 184 S., 150 farbige und s/w-Abbildungen, 34 Euro, ISBN 978-3-89487-606-7

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