Willenlose Schönheit

Die spanische Compañía Nacional de Danza mit drei Werken von Nacho Duato

Baden-Baden, 23/05/2008

Spanien ist nicht nur gesellschaftspolitisch viel moderner als wir konservativen Mitteleuropäer gemeinhin glauben. Die staatlich finanzierte Compañía Nacional de Danza tanzt weder klassischen Flamenco noch klassisches Ballett (wobei mehrere spanische Ballettstars wie Angel Corella und Tamara Rojo ja intensiv an der Gründung einer großen klassischen Kompanie arbeiten), sondern sie ist das spanische Gegenstück zum Nederlands Dans Theater, auf dessen Inspiration die Werke von Direktor und Chefchoreograf Nacho Duato immer wieder deutlich hinweisen. Manchmal sogar überdeutlich. Für drei Tage gastiert die CND nun in Baden-Baden, wohin inzwischen die ganz hochklassigen Tanzgastspiele aus der Stuttgarter Region abgewandert sind.

Duato, der nach einem einzigen Stück in Marcia Haydées letztem Direktionsjahr heute beim Stuttgarter Ballett leider gar nicht mehr auf dem Programm steht, hat im Festspielhaus keines seiner rhythmisch-folkloristischen, von Afrika oder Südamerika inspirierten Werke dabei, sondern drei dunkle, nachdenkliche Stücke, die von Tod und Verzweiflung handeln - aber das nicht unbedingt verzweifelt, sondern in sanften, oft tröstlichen Duos. Denn der Pas de deux ist das Zentrum, um das hier alle Choreografie kreist: Immer wieder eilen Paare herein und hinaus, die meisten Stücke sind der Struktur nach einfach lose Abfolgen von Pas de deux und noch mehr Pas de deux. Die Partner liegen sich als Geliebte in den Armen, verfolgen sich als Schatten und Doppelgänger oder stehen sich - selten, denn Duato liebt Symmetrie und Harmonie - als Widerparts gegenüber. Die Parallelen zu Duatos Lehrmeistern Jiří Kylian und Hans van Manen sind unverkennbar - bei aller Moderne ist der choreografische Stil des Spaniers schön, hochmusikalisch und sehr tanzbetont. Alles fließt, die zackigen Dekonstruktionen à la Forsythe oder dessen (früheren) hypernervösen Tanz auf Spitze findet man hier nicht. Manchmal gibt die Choreografie der Musik fast zu viel nach, verliert sich in willenloser Schönheit in ihrem Fluss und setzt kleine Ornamente auf die rhythmischen Akzente, anstatt nach Strukturen zu suchen oder der Musik in einem konstruktiven Dialog entgegenzutreten.

So zum Beispiel in „Gilded Goldbergs“, wo ein Komponist (Bach?) und seine Muse sich in vielen kurzen Duos ihres zunächst nur zuhörenden Konzertpublikums widerspiegeln. Kopfüber hängt der Konzertflügel über der Bühne, denn getanzt wird nicht zu Bachs Goldberg-Variationen, sondern zu einer frechen Neubearbeitung des sakrosankten Werkes. Um den Aufstieg in den Himmel geht es in „Arcangelo“ zu Musik von Corelli und Scarlatti. Sind es die titelgebenden Erzengel, die in einer Art Wartesaal vor dem Tod ihre Partnerinnen trösten und schlafen legen, bevor eine von ihnen tatsächlich mit Hilfe ihres Partners nach oben hinaufschwebt? Am emotionalsten erscheint Nacho Duatos Handschrift im Drogen-Stück „White Darkness“, vielleicht weil er hier in Struktur, Tempo und auch Schrittmaterial deutlich abwechslungsreicher choreografierte. In einem Wasserfall von unheimlicher Schönheit stürzt weißes Pulver von oben herab und drückt die Verzweifelte zu Boden, die zuvor zwischen Rausch und Nüchternheit immer auf der Suche war. Die ausdrucksstarke Yolanda Martín, eine ältere Tänzerin mit der ausgeprägten Persönlichkeit einer Sabine Kupferberg, ragt hier aus einem starken Ensemble heraus, das erdiger und körperbetonter tanzt als das kühle, aber dafür viel elegantere Nederlands Dans Theater.

 Links: http://cndanza.mcu.es / www.festspielhaus.de

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