Terpsichore-Gala VII im Gedenken Crankos

Wolfgang Oberender spricht mit Hartmut Regitz über John Crankos Zeit beim Ballett der Bayerischen Staatsoper

München, 16/04/2008

Alle Welt kennt John Cranko als Direktor des Stuttgarter Balletts. Dass der charismatische Chefchoreograf auch eine Münchner Vergangenheit hat, ist wenigen bewusst. Wolfgang Oberender, beim Bayerischen Staatsballett Stellvertreter des Direktors, Disponent, Dramaturg und Produktionsleiter, will daran etwas ändern - und widmet die Terpsichore-Gala VII am 16. und 17. April ganz dem Gedenken Crankos. Hartmut Regitz hat sich hat mit ihm unterhalten.

Redaktion: Niemand hat in Sachen „Cranko in München“ gründlicher recherchiert als Sie. Was könnte Cranko Ihrer Meinung nach an einem Engagement in München gereizt haben? Welche Hoffnungen hat er daran geknüpft?

Wolfgang Oberender: Das ist das Einzige, was man nicht hundertprozentig aus der Vertragslage herauslesen kann. Einige Zeitzeugen glauben, dass er seine Position in Stuttgart stärken, d. h. einen gewissen Druck ausüben wollte. Tatsache ist, dass er das Münchner Nationaltheater mit seiner Größe und seinem Glanz liebte. Und auch den riesigen Ballettsaal fand er grandios. Auch die Idee eines Nationalballetts, von dem John Percival in seiner Cranko-Biografie berichtet, war nicht vom Tisch. Es gibt Hinweise in einem Brief, dass das Zusammengehen der beiden süddeutschen Kompanien zumindest angedacht war, und Georgette Tsinguirides versicherte mir, dass er als Spielstätte dafür schon damals das Prinzregententheater im Auge gehabt habe.

Redaktion: Wenn ich Sie recht verstehe, wollte er nicht unbedingt von Stuttgart weg. Cranko wollte vielmehr beides: Stuttgart und München.

Wolfgang Oberender: Nirgendwo findet sich ein Hinweis darauf, dass er Stuttgart verlassen wollte, selbst wenn er zwischendurch die schwäbische Metropole „wahnsinnig eng“ gefunden hat.

Redaktion: Als der internationale Erfolg des Stuttgarter Balletts einsetzte, war für ihn ohnehin alles passé.

Wolfgang Oberender: Mit New York hat sich 1969 alles geändert. Aber Ende 1966 bzw. 1967 als wahrscheinlich die ersten Gespräche mit Staatsintendant Günther Rennert stattgefunden haben, war Cranko wieder einmal die täglichen Kämpfe mit der Stuttgarter Bürokratie leid. Er dachte zwischenzeitlich über Alternativen nach, liebäugelte wohl auch mit Berlin, eine Stadt, die ihn weit mehr interessierte als München.

Redaktion: Ab wann datiert eigentlich das Münchner Engagement?

Wolfgang Oberender: Ende 67 Anfang 68. In dieser Spielzeit hatte Cranko einen Vertrag über zwei Stücke. De facto machte er drei - zwei Uraufführungen und „Katalyse“ als Übernahme. Mit der Spielzeit 68/69 war Cranko offiziell für zwei Jahre Chefchoreograf mit der Verpflichtung, jeweils ein abendfüllendes und ein kurzes Ballett beizusteuern.

Redaktion: Er war nicht Ballettdirektor?

Wolfgang Oberender: Nie, obwohl der erste Vertrag einen Passus beinhaltet, dass er sich um die täglichen Belange der Kompanie kümmern muss. De facto heißt das, dass er sie leitet.

Redaktion: Waren juristische Gründe für diese Sachlage ausschlaggebend?

Wolfgang Oberender: Ich glaube, er wollte das einfach nicht; er war schon Direktor in Stuttgart. Nachdem er aber gemerkt hat, dass er wie ein Pferd rackert und eigentlich die Arbeit eines Direktors leistet, versuchte er - wie aus einem Briefwechsel 69 ersichtlich ist - seinen Chefchoreografen-Vertrag in einen Direktorenvertrag umzuwandeln. Was aber das Ministerium abgelehnt hat.

Redaktion: Die bürokratische Kleingeisterei war damals sowohl in München wie in Stuttgart verbreitet?

Wolfgang Oberender: Absolut...

Redaktion: Und weil er nicht von vornherein klar zu erkennen gegeben hat, dass er München Stuttgart vorzieht, hat ihn die Bürokratie abgestraft.

Wolfgang Oberender: Die Verwaltung hat einfach nicht begriffen, was sie an ihm hat. Rennert musste da schon mal in einem gewaltigen Brief gegenüber dem Ministerium seine Bedeutung herausstreichen - und dann haben die auch sehr schnell klein beigegeben und angewiesen, ihm das zu bezahlen, was ihm auch zusteht.

Redaktion: Wie hat er sich denn eigentlich die Arbeit zwischen Stuttgart und München aufgeteilt?

Wolfgang Oberender: Cranko war zwei Jahre lang Chefchoreograf, und dann hat er seinen Vertrag nochmals um zwei Jahre verlängert - offiziell als Chefchoreograf, aber nicht mehr mit dem Passus, dass er sich auch um die tägliche Arbeit kümmern muss. Seine Bezahlung war nun definitiv an die Choreografien gebunden. Vorher war das Geld an die Zeit, die er in München verbrachte, gebunden. In den ersten Jahren musste er maximal vier Monate in München arbeiten, minimal drei Monate und darin mindestens einen Einakter und ein abendfüllendes Ballett beisteuern.

Redaktion: Inwieweit war die Münchner Zeit für Cranko kreativ?

Wolfgang Oberender: Außer dem aparten „Ebony Concerto“ und der spröderen „Begegnung in drei Farben“ hat nichts wirklich überlebt. Aber er hat in seiner Zeit in München „Romeo“, „Schwanensee“ und „Onegin“ einstudiert: ein künstlerischer Input, von dem wir bis heute zehren. Es gibt eine Konstanze Vernon, einen Stefan Erler, eine ganze Reihe von Menschen, die mit ihm gearbeitet haben und für die diese Zeit noch lebhaft in Erinnerung ist und die ihre Erfahrung mit ihm auf ihre Weise weitergeben - und wenn's nicht einzelne Schritte sind, dann doch atmosphärisch.

Redaktion: Leider sind einige Werke - aus den unterschiedlichsten Gründen - verloren gegangen.

Wolfgang Oberender: „Triplum“, „Gesang der Nachtigall“, „Fêtes Galantes“. Und natürlich „Daphnis und Chloe“, wobei kein Mensch wirklich weiß, inwieweit sich die Münchner Produktion von der in Stuttgart unterschieden hat.

Redaktion: Sie haben versucht, alles was an choreografischen Spuren aufzufinden war, in Ihren beiden Cranko-Galas wieder gegenwärtig zu machen.

Wolfgang Oberender: Das ist richtig. Einen Satz von „Katalyse“ haben wir nach den Aufzeichnungen von Georgette Tsinguirides rekonstruiert. Wir tanzen den zweiten Satz aus Crankos „Begegnung in drei Farben“, die Cherie Trevaskis und Stefan Erler 1988 nach einer Fernsehaufzeichnung rekonstruiert haben. Und wir zeigen „Ebony Concerto“: die einzige, echte, wirklich erfolgreiche Münchner Cranko-Kreation, die in München seit zwanzig Jahren nicht mehr zu sehen war. Der Pas de deux aus „The Lady and the Fool“ war mir wichtig, weil er schon so viel von dem enthält, was Cranko später ausgezeichnet hat. Neu ist für München auch „Salade“ mit der Akademie. Crankos „Legende“ steht insofern für eine Münchner Tradition, weil das Duo hier uraufgeführt wurde. Crankos „Schwarzer Schwan“ steht auf dem Programm, mit der verblüffenden Odile-Variation zur Musik, die eigentlich dem Mann gehört. Und der Weiße, d.h. die Elegie aus dem vierten Akt, in der ich sofort Bridget Breiner gesehen habe. Und auf Vorschlag von Reid Andersen drei Sätze aus „Brouillards“, ein Ballett, das ich über alles schätze - teilweise vom Stuttgarter, teilweise vom Birmingham Royal Ballet getanzt, der Nachfolgekompanie von Crankos erstem Ensemble, dem Sadler's Wells Theatre Ballet. Und wir zeigen natürlich die Hits, für die wir eine Reihe von Weltstars wie Julie Kent oder Robert Tewsley holen: Auszüge aus „Onegin“, „Der Widerspenstigen Zähmung“, „Romeo und Julia“.

Redaktion: Genug Cranko also.

Wolfgang Oberender: Aber es kommt noch viel mehr. Am 18. November jährt sich zum vierzigsten Mal die Münchner „Romeo“-Premiere, und das muss natürlich am selben Tag gefeiert werden: mit der nächsten Cranko-Gala.

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