Dritte Folge von „Zeitsprung“ in Bielefeld

Mit „Zu Brahms tanzen“ zum „Kinder zum Olymp“-Kongress

Bielefeld, 21/06/2009

Nein, Kinderkram ist die in Deutschland einzigartige Reihe „Zeitsprung“ des „Tanztheater Bielefeld“ mitnichten. Angeregt von den erfreulich zahlreichen Initiativen wie „Tanz in der Schule“ und dem Erfolgs-Film „Rhythm is it“, ging Tanztheaterchef Gregor Zöllig vor drei Jahren – unterstützt von Royston Maldoom – einen Schritt weiter: er lud Laien, nicht nur Kinder, auf die große Bühne des Stadttheaters ein, um sie „am eigenen Leib“ erfahren zu lassen, was „Tänzer sein“ und Bühnenkunst bedeuten. Angeleitet durch die zehn Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles entstehen nun jeweils gegen Spielzeit-Ende eigenständige Kreationen mehrerer Laien-Gruppen zum Thema eines aktuellen Tanzabends von Zölligs Truppe – zuerst „Vier Jahreszeiten“ (für vier Generationen), gefolgt von „Struwwelpeter“ (mit straffällig gewordenen Jugendlichen, Sozialarbeitern, Lehrern, Eltern und Schülern) und nun das bisher künstlerisch anspruchsvollste Projekt, „Zu Brahms tanzen“ nach Zölligs Choreografie „Erste Sinfonie von Johannes Brahms“.

Zum ersten Mal bildet ein Musikstück die gemeinsame Brücke zwischen Profi- und Laien-Choreografie. Ebenfalls erstmals wird im selben Bühnenbild getanzt, einer raffinierten, großzügigen Kuppelbau-Fabrikhalle von Tilo Steffens. Wie aus einem Guss ist das einstündige Programm. Die vier Gruppen von Schülern, Lehrern, Hörgeschädigten und Senioren bilden einen so einheitlichen Bewegungskörper wie die Orchester-Instrumente das Klangbild der Sinfonie. Die Zusammenführung aller Ideen zum Thema „Kommunikation“, entstanden in wochenlangen Einzelproben der Gruppen, ist ein choreografisches, logistisches Kabinettstück von Zöllig und drei seiner Ensemblemitglieder. Bilder um Zuhören, Hinhören, Weghören, Nicht-Hören-Können werden pantomimisch einfallsreich und oft witzig oder verspielt mit Zeichen- und Körpersprache skizziert. Als Masse Mensch, Sportler- und Akrobatenteams, Kontrahenten und Verliebte treten die 83 gertenschlanken oder auch moppeligen 13- bis 72-Jährigen auf. Erwachsene spielen einander virtuelle Bälle zu. Mit zwei gelben Verkehrsfähnchen dirigiert ein Teenager ernsthaft das reibungslose Neben- und Miteinander, wenn alle gleichzeitig über die Bühne marschieren, defilieren, flanieren und schließlich Aufstellung zum Finale nehmen.

Dass Brahms' schwerblütige Musik sich Choreografen nicht unbedingt aufdrängt – trotz tänzerischer Kompositionen wie „Ungarische Tänze“ und „Liebesliederwalzer“ – ist hinlänglich bekannt. Wie genau aber diese vielen „Zuhörer“ wirklich hinhören auf den facettenreichen Ausdruck der romantischen Partitur, wie sie die Poesie elegischer Streicherkantilenen, den Ausbruch wilder Pauken- und Bläserpassagen in Bewegung umsetzen – oder Rhythmen und Dynamik schlichtweg ignorieren – das beeindruckt. Unterschiede im Verhalten von Lehrern und Schülern oder zwischen Eltern, Omis und Kindern sind aufgehoben: hier lässt jeder seiner Menschlichkeit freien Lauf, gibt sich fröhlich oder wütend, ausgelassen oder nachdenklich, unbekümmert oder romantisch – ganz wie die Musik sie oder ihn animiert. Die professionellen Tänzer-Choreografen machen mit eindrucksvollem Einsatz souverän eine runde Sache draus und werden dafür belohnt: „Zu Brahms tanzen“ ist zum 6. „Kinder zum Olymp“-Kongress der Kulturstiftung der Länder am 25./26. Juni in München eingeladen.

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