Plädoyer gegen Rassismus im Tanz
Neu erschienen: die Biografie des kubanischen Tänzers Osiel Gouneo
In mächtigen Stoßwellen brach der Jubel von den Rängen herab. Was der Madrider Ballettchef Nacho Duato mit seinem zweiteiligen Bach-Ballett „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ 1999 für Weimar choreografiert und jetzt dem Bayerischen Staatsballett überlassen hat, musste unweigerlich die jungen Zuschauer da oben in höchste Euphorie versetzen: Bewegung, Bewegung, Bewegung, ausgeführt, nein: wie flüssiges Gold hingeschmolzen auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters von unabdingbar dem Tanz ergebenen und durch Tanzdisziplin vollendet schön geformten Körpern. Das gesetztere Publikum im Parkett reagierte weit verhaltener. Aber keine Frage, Duatos Bach-Hommage fügt sich, im Vergleich zu anderem Neuerwerb, bereichernd und nach Jiří Kyliáns „Zugvögeln“ (Premiere war im Mai) auch tanzgeschichtlich logisch ins Staatsballett-Repertoire. Der jetzt 52-jährige Spanier, bis zu seiner Madrider Ballettdirektion (ab 1990) Tänzer und Choreograf im Nederlands Dans Theater unter Jiří Kylián, hat dessen Modern-Dance-Stil seine eigene persönliche Farbe zugemischt. Duato, mit seiner fulminanten Compañia Nacional de Danza ja auch in München bestens bekannt, ist eine Spur dichter, komplexer, vor allem rasanter – aus seinem eigenen mediterranen Temperament heraus. Kann es auch sein, weil Tänzer heute technisch so viel mehr leisten können, als noch vor zehn Jahren.
So sehen wir hier zu Bachs Suiten, Sonaten, Konzerten, Polonaisen und Menuetten, zu Orgelwerken, Kantaten, Chorälen und seiner „Kunst der Fuge“ vierundzwanzig in atemloser Folge dahingleitende choreografische Miniaturen, die, ohne zu erzählen, dennoch in einigen Bildern durchgängig die Präsenz des Komponisten herstellen: Bach (Marlon Dino) in Begegnungen mit seiner Ehefrau, mit dem immer wieder marionettenhaft dräuenden Tod (beide von Silvia Confalonieri) und im Einssein mit seiner geliebten Musik (die blutjunge Gruppentänzerin Giulina Bottino). Bach und seine Musik – das möchte Duato pointiert herausstellen. Dabei entgeht er gerade noch der Gefahr des naiven Illustrierens, indem mimische Zeichen wie das Streichen des Cello-Bogens über einen Körper tänzerisch eingesetzt sind oder die krabbeligen Gesten fürs Cembalo-Spielen in der dynamischen Wucht der abstrakten Tanzfolgen verschluckt werden. Es rauschen nur so an einem vorüber: kraftvoll tänzelnde männliche „Zwillinge“ in kurzen Reifröcken; Duette, Trios und Pas de deux, in denen Matej Urban und diese so wunderbar biegsame „Gerte“ Emma Borrowman (schon Kylián hatte sie prominent besetzt) all diese verschlungenen Partner-Griffe und -Hebungen musikalisch-plastisch zum Leuchten bringen; und in höfischen, die schwungvolle Bewegung noch akzentuierenden Ballkleidern (Duato/Ismael Aznar) auch Quintette und Sextette, mit denen Duato seine geometrische Raumkunst demonstrieren kann. Abschluss und Höhepunkt des vorwiegend weltliche Bach-Musiken verwendenden ersten Teils „Vielfalt“ ist das große Ensemble zum trancehaft-minimalistisch anmutenden Adagio der Sonate für Violine und Cembalo Nr. 5, BWV 1018, 3. Satz: eine lange geschlossene Reihe ruhig schreitender Tänzer löst sich auf zu versetzt schreitenden Teilreihen, findet erneut zusammen. Entlässt einzelne Tänzer für Mini-Solosequenzen, um sie gleich wieder in die Geschlossenheit aufzunehmen. Und hier, nach diesem so schönen, fast spirituellen Ritual, hätte der Abend enden müssen. Die Wahrnehmung war glücklich trunken – aber auch erschöpft.
Man kann ja nicht gut einem Künstler, und das ist Duato, einen Wunschzettel schicken. Aber mal rein theoretisch, hätte man drei Wünsche gehabt: dass der sichtbar musikalische und so fantasiereiche Schritterfinder Duato nicht auf jede Note und, für ein bisschen mehr Spannung, ruhig auch taktübergreifend oder gegen den Takt choreografiert; dass die nachtdunkle Bühne, mit einem rückwärtigen, später als Himmelsrampe dienenden düsteren Gitter-Aufbau, das Auge zwischendurch mit Licht erquickt hätte; und dass die ein oder andere Bach-Musik live gespielt würde. Denn wie gut die jeweiligen Interpreten auch sein mögen, zwei Stunden Bach vom Band sind, bei der Tontechnik des Hauses, leider nicht zwei Stunden Hörgenuss. So ließ man den zweiten Teil „Formen von Stille und Leere“ zu eher geistlichen Musiken (dröhnend die Orgel-Konserve) ermattet über sich ergehen.
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