Daria Sukhorukova und Cyril Pierre.

Daria Sukhorukova und Cyril Pierre.

Fulminante Eröffnung der Jubiläumsspielzeit

Mit hoffnungsvollen Debuts von Daria Sukhorukova und Marlon Dino in „Raymonda“

München, 29/09/2009

Die 20. Saison eröffnete das Bayerische Staatsballett zweigleisig: mit drei Vorstellungen von Petipas Raymonda in der Neuinzenierung durch Ray Barra (2001) im Nationaltheater und mit der Forsythe-Company, die an zwei Abenden dazwischen, ein Mal in zeitlicher Überschneidung, ihr „Yes, We Can‘t“ aus dem Jahr 2008 im Prinzregententheater aufführte. Dieses erste von zwei hochrangigen Gastspielen der Jubiläumsspielzeit, dem im Frühling das von Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal folgen wird, war mehr als bloß schmückendes Beiwerk, reicht doch das Repertoire des Staatsballetts, das schon „Limb‘s Theorem“ von William Forsythe seit 2004 ein neues Zuhause bietet und in der Ballettfestwoche 2010 auch sein „Artifact“ aufnimmt, von Werken, die noch älter als die Klassiker sind, bis zu Stücken der Gegenwart. So wurde die enorme Bandbreite, die das Staatsballett-Ensemble tanzt, gleich zum Auftakt exemplarisch deutlich.

Es ist ein reiches Stück, diese auf gut zwei Stunden komprimierte, groß besetzte „Raymonda“ mit ihrer raffinierten Psychologisierung, ihrer detaillierten Handlung sowie dem mittelalterlichen Bühnenbild und den dazu passenden prächtigen Kostümen von Klaus Hellenstein! Bei der Wiederaufnahme nach dreieinhalb Jahren standen Daria Sukhorukova und Marlon Dino im Zentrum des Interesses. Zu ihren Münchner Debuts am 23.09. spielte das soeben von der Zeitschrift „Opernwelt“ zu einem der beiden Orchester des Jahres 2009 ernannte Bayerische Staatsorchester unter Dirigent Michael Schmidtsdorff klar strukturiert, gab die von Maria Babanina eingerichtete Musik Alexander Glasunows mit farbigem Legato wieder und bot den Tänzern guten Antrieb. Marlon Dino begann als Jean de Brienne sehr präsent, während Daria Sukhorukova in ihrer ersten Raymonda-Variation das Orchester bei seiner Temposteigerung enteilen ließ. In ihre Begegnung mit Jean platzt der König von Ungarn (Vincent Loermans), um Jean für den anstehenden Kreuzzug zu gewinnen, wobei Marlon Dino mit Posen und Pirouetten beeindruckte. Raymonda bleibt mit ihrem Brautschleier allein. Freundinnen tanzen zu ihrem Trost, und dabei stellte das Corps de ballet mit synchroner Eleganz die schöne Architektur der Choreografie gut heraus. Die zweite Variation Daria Sukhorukovas aber vermittelte mehr vom Klick-klack ihrer nach russischer Art harten Spitzenschuhe, als dass ein Funke übergesprungen wäre. Weil Cyril Pierre den Sarazenenfürsten Abderakhman in der Darstellung zwar gut verkörperte, in seiner tänzerischen Potenz aber beschränkt blieb, begann das Stück zäh, obwohl Daria Sukhorukova für Raymondas traurige Einsamkeit schöne Ansätze zu einem anmutigen Bewegungsfluss zeigte. Mit ihrem Traum, in dem Jean de Brienne so erscheint, wie sie ihn sich wünscht, gewann das Ganze schärfere Konturen. Nun zeigte sie mit schöner Linie Figuren sehnsüchtiger Leidenschaft, und Marlon Dino strahlte, feierlich-gefasst mit mühelosen Hebungen imponierend, überlegene Ritterlichkeit aus. Das Zusammenspiel des Corps de ballet mit Raymondas Freundinnen war blendend einstudiert, und als Weiße Dame gewann Zuzana Zahradniková immer mehr Freiheit in den Bewegungen, wie sie für starke Ausstrahlung unabdingbar ist. Daria Sukhorukova beeindruckte nun mit weichem Absenken von der Spitze und schöner Sammlung, während die Choreografie in einer faszinierenden Staffelung von Freundinnen, Raymonda, Weißer Dame, zwei plus vier Freundinnen und Hauptpaar eine Steigerung der Tempi zeitigte, an deren Ende Abderakhman an die Stelle Jean de Briennes tritt. – Was sich im Traum angedeutet hat, geschieht im zweiten Akt: Zum Cour d‘amour erscheinen Abderakhman und sein sarazenisches Gefolge als Gäste. Nach seinem Pas de deux mit Raymonda sowie einer Reihe von Variationen der flinken Roberta Fernandes und der Legato-erfüllten Séverine Ferrolier sowie der als Troubadoure debutierenden Maxim Cashchegorov und Javier Amo Gonzalez, die mit Sprungkraft und Stilsicherheit überzeugten, ließ deren schöner Pas de quatre die Handlung zugunsten der Freude am reinen Tanz kurz vergessen. Abderakhmans dann folgende Attacke blieb weitgehend gestische Behauptung, und erst die Sarazenen schufen die bedrohliche Energie als Rahmen, in dem Raymonda sich von den tanzenden Sarazeninnen entführen lässt. Im letzten Moment kehrt Jean de Brienne zurück und tötet Abderakhman. Raymondas Pas de deux mit ihm, dem Mörder ihres Geliebten, ist Kernstück dieser Inszenierung. Auf einmal bemüht er sich um sie. Raymonda spürt das, mit dem Auftauchen der Weißen Dame wird es ihr bewusst und die Versöhnung gelingt – innerhalb eines einzigen Pas de deux, den beide auch tänzerisch gut realisierten und dabei offensichtlich auch fühlten, was sie da tanzten. Von da an tanzte das Paar mit schöner Gelöstheit im Gold und Hellblau des prächtigen Bühnenbilds: Daria Sukhorukva mit brillanten Akzenten zu stolzer Souveränität gewachsen, dabei zart mit schöner Linie, und Marlon Dino, mit stark verbesserter Energie in seiner Bewegung weiterhin auf gutem Weg, beide in ein nicht enden wollendes, immer besser werdendes Finale mit seinem grandiosen Schlussbild.

Am Wochenende bestanden die meisten Protagonisten auch eine Belastungs-Feuertaufe: Denn wegen Lisa-Maree Cullums plötzlicher Verletzung tanzten sie sowohl am Samstagabend als auch die Sonntagsmatinee, nach nur 12 Stunden Pause also dieses große Werk erneut. Natürlich konnte man Daria Sukhorukova nicht zusätzlich neue Partner an die Seite stellen, sodass auch Marlon Dino und Cyril Pierre wieder gefragt waren. So war am Samstagabend als einzige Besonderheit Natalia Kalinitchenkos erfreuliches Comeback nach langer Verletzung zu verzeichnen. Am Sonntagmorgen durfte man dann überrascht sein, wie frisch und stark verbessert die gesamte Aufführung bereits war. Marlon Dino hatte in dieser dritten Vorstellung auch das Lächeln gelernt, und Daria Sukhorukova als Titelheldin in ihren anfänglichen Variationen viel an Lebendigkeit und Sicherheit gewonnen. Sie zeigte mit ihrer in St. Petersburg geprägten stilistischen Feinkoordination gute Ansätze zur großen Ballerina. Beider Pas de deux wurde zu Glasunows singender Musik ein märchenhafter Traum, den als Weiße Dame Zuzana Zahrdadniková ebenso lückenlos fortsetzte wie Roberta Fernandes und Séverine Ferrolier, die als Clémence und Henriette ihre Freude am Tanz der Freundinnen auf das Publikum übertrugen. Auch Cyril Pierre konnte tänzerisch sichtlich zulegen. So stellte sich sowohl dank der vorzüglichen Männer im sarazenischen Gefolge und unter den Freunden Jean de Briennes als auch dank des bei allem Temperament exakten weiblichen Corps de ballet ein mitreißender Zauber ein. Die alte Brillanz war wieder da, und das gesamte Ensemble machte der Auszeichnung des Bayerischen Staatsballetts als deutsche Kompanie des Jahres 2008 alle Ehre.

www.bayerisches.staatsballett.de

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