Zehn Jahre Tanzolymp in Berlin
Oleksi Bessmertni hat seinen Schwur nicht gehalten
Oleksi Bessmertni über seinen Neuanfang als Choreograf und über den nächsten Tanzolymp
Oleksi Bessmertni ist in Deutschland bekannt als Erfinder des Internationalen Kindertanzfestivals Tanzolymp in Berlin, das er 2004 aus der Taufe hob und seitdem mit großem Erfolg jährlich organisiert. Der Ukrainer war Solotänzer in Odessa und Budapest, er tanzte in Karlsruhe, beim Bayerischen Staatsballett München und an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. In Japan hat er nun zum ersten Mal ein abendfüllendes Ballett choreografiert. Hartmut Regitz fragte Oleksi Bessmertni auch nach dem nächsten Berliner Tanzolymp Ende Februar.
Oleksi Bessmertni, die Frage liegt auf der Hand: Wie kommt man als choreografischer Nobody an einen Auftrag für ein Ballett?
Oleksi Bessmertni: Ich bin kein choreografischer Anfänger, aber bei „Urashima Taro“ handelt es sich tatsächlich um meine erste abendfüllende Arbeit. Kürzere Stücke entstanden schon während meiner Ausbildungszeit für Kollegen und Mitglieder der nachgeordneten Klassen. Begonnen habe ich sie in Odessa auf der Ballettschule, fortgesetzt habe ich sie an der des Moskauer Bolshoi-Theaters. Kiew war meine nächste Schul-Station. Mein Abitur habe ich in Kishinow, Moldawien, abgelegt, und dort habe ich erstmals choreografiert – wie auch zwischen 1989 und 1992 im Rahmen choreografischer Experimentierabende während eines ersten Engagements in meiner Heimatstadt Odessa. Auch in Budapest entwarf ich Tänze fürs Musical und fürs Kino. Erst in Deutschland, während meines Engagements in Karlsruhe, München und Berlin, kam ich nicht mehr zum Choreografieren, d. h. zehn Jahre nicht.
Insofern ist meine Frage letztlich doch berechtigt: Wie kommt jemand, der Ihre früheren Arbeiten nicht kennen kann, auf die Idee, Sie als Choreograf eines abendfüllendes Stücks zu engagieren?
Oleksi Bessmertni: Lassen Sie mich ausholen. Eigentlich hatte ich die Nase voll von all der Papierarbeit im Zusammenhang mit dem Tanzolymp, den ich ja nach wie vor in Berlin organisiere, und fand es an der Zeit, mich wieder als Künstler zu positionieren – nicht zuletzt auch deswegen, weil es derzeit meiner Einschätzung nach an wirklich herausragenden Choreografen mangelt. Wer kann schon einen ganzen Abend bestreiten und nicht nur fünfzehn Minuten schrittmäßig füllen? Dazu bedarf es Philosophie wie überhaupt einer Dramaturgie, ohne die dem Tanz das Theater fehlt. Gerade im klassischen Ballett sollten sich die Choreografen wieder mehr mit Dramaturgie auseinandersetzen.
Und Dramaturgie haben Sie studiert?
Oleksi Bessmertni: Vier Jahre lang nach dem Ende meiner Tänzerkarriere an der Slawischen Universität in Kiew mit der Zielsetzung, mich als Stagemanager zu qualifizieren – per Fernstudium mit zwei Anwesenheitspflichten und Abschlussprüfung am Ort. Ich habe das studiert, soweit man das überhaupt studieren kann. Doch was besagt schon ein Studium? Dramaturgie ist so etwas wie der siebte Sinn: den hat man oder hat man nicht. Wie beim Choreografieren können im Rahmen einer Ausbildung allenfalls gewisse Grundlagen vermitteln werden und dadurch etwas verbessern. Das eigentliche künstlerische Können ersetzt das theoretische Wissen nicht.
Sich als Choreograf positionieren zu können, ist immer auch von anderen abhängig. Wer ist Ihr Auftraggeber?
Oleksi Bessmertni: In Europa bin ich eigentlich nur als Organisator bekannt. Nicht anders in Japan. Alle meine Kontakte besitze ich durch den Tanzolymp. In Japan bestand schon seit langem der Wunsch, einmal die Legende „Urashima Taro“ als Ballett auf die Bühne zu bringen. Natürlich bin ich darin nicht firm, und das habe ich meinen Auftraggebern auch zu verstehen gegeben. Aber sie wollten mich unbedingt haben – als Ersatz für einen Choreografen aus Taschkent, der bereits mit dem Choreografieren begonnen hatte. Ich sollte seine Arbeit auf Vordermann bringen – was ich rundherum abgelehnt habe, ich kann nur etwas neu choreografieren. Das wurde akzeptiert, und also habe ich ein neues Libretto entworfen zu einer bereits existierenden Auftragskomposition von Felix Yanov-Yanovsky, die ich durch ein Trommelstück eines jungen Berliner Komponisten ergänzte.
Und für welche Kompanie entstand das Ganze?
Oleksi Bessmertni: Für das Toyota City Ballet, eine Kompanie, die der Toyota Ballet School „Tschaikowsky“ angeschlossen ist, die, wie der Name schon sagt in Toyota beheimatet hat, einer Stadt in der Nähe von Nagoya.
Wie lief die Arbeit ab?
Oleksi Bessmertni: Viel Zeit stand mir nicht zur Verfügung. Deshalb griff ich im ersten Akt hauptsächlich auf die Arbeit des usbekischen Choreografen zurück, nicht zuletzt auch weil das Männer-Corps des Bolschoi-Theaters Taschkent an der Koproduktion beteiligt war. Als Produzent fungierte Suwa Hitoshi, die Ausstattung hat Kumi Sakurai entworfen, die ich von der „Bayadère“ beim Bayerischen Staatsballett her kannte: eine wunderbare Zusammenarbeit, weil sie eine „europäische“ Sicht des Tanzgeschehens hat und sehr flexibel ist. Schließlich musste sie in kürzester Zeit ihre Kostüme nach Maßgabe meines Librettos ändern.
Und das heißt?
Oleksi Bessmertni: Ich will Ihnen nicht den Abend im Detail erzählen. Nur so viel: Das Ganze spielt sich in einem japanischen Dorf ab, eine typische Dreiecksgeschichte. Irgendwann spült das Meer eine Schildkröte ans Land. Urashima Taro, ein armer Fischer, nimmt sich ihrer an – und plötzlich verwandelt sie sich in eine Seekönigin und damit in eine schöne Frau, die ihn seiner Verlobten entfremdet. Er geht mit ihr ins Wasser. Ende des ersten Akts. Der zweite Akt spielt unter Wasser. Trotz allem Luxus, den ihm die Seekönigin bietet, erinnert er sich eines Tages wieder seiner Verlobten, und irgendwann erlaubt sie ihm auch die Rückkehr und gibt ihm eine Muschel auf den Weg, die geöffnet dem Guten Gutes, dem Bösen Böses bringt. Es kommt, wie es kommen muss: Die Muschel, eine Art Pandora-Büchse, wird ihm von seinem Rivalen geraubt, und so kommt Unheil über das Land. Erst als die Seekönigin ein Erbarmen hat und die Krieger ins Wasser holt, kehrt auf der Erde wieder Friede ein. Innerhalb des zweiten Aktes habe ich ein Divertissement eingebaut, in dem ich alle möglichen Tiere aus Petipa-Ballette auftreten ließ, Medusen, Seepferdchen, Meerjungfrauen.
Eine weitere Veränderung betrifft die Zeit. Urashima Taro wähnt sich vier Stunden unter Wasser. In Wirklichkeit sind es 400 Jahre. Als er die Erde wieder betritt, findet er sich im Tokio unserer Tage wieder. Büroleute treten auf. Auf der Bühne auf Wunsch der Toyota-Leute: das Auto der Zukunft, das eigentlich jedes Kind lenken kann und das während der Fahrt sein Aussehen wechselt. Obwohl all das dank Projektionen gut funktioniert, empfindet Urashima Taro den Zeitsprung als eine Katastrophe und erinnert sich seiner Muschel. Er öffnet sie, und plötzlich läuft die Zeit wie ein Film zurück. Alle tanzen in einem gegenläufigen Kreis, und auf einmal ist wieder die Situation des ersten Aktes gegenwärtig und damit auch das Böse. Ein letztes Mal ist Urashima Taro auf die Hilfe seiner Seekönigin angewiesen...
Wie lang ist das ganze Stück?
Oleksi Bessmertni: Zweieinhalb Stunden plus zwanzig Minuten Applaus. Aufgrund des Erfolgs bin ich eingeladen worden, in diesem Jahr „Romeo und Julia“ zu choreografieren.
So viel über Ihre Nebentätigkeit ...
Oleksi Bessmertni: ...von der ich hoffe, dass sie sich zu meinem Hauptberuf entwickelt.
Im Hauptberuf sind Sie immer noch der Organisator des Tanzolymps. Der fünfte findet in diesem Jahr etwas später als sonst in Berlin statt, und zwar vom 18. bis zum 22. Februar, um nicht mit der Berlinale zu kollidieren.
Oleksi Bessmertni: Das ist richtig, und am Internationalen Tanzfestival selbst wird nichts geändert: Wie immer findet der Wettbewerb unter Schirmherrschaft von Vladimir Malakhov im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur statt und die Abschlussveranstaltung wie im Vorjahr im Haus der Festspiele. Vladimir Vassiliev ist wieder Präsident der Jury, in der alle staatlichen Schule Deutschlands vertreten sind, Hamburgs Ballettzentrum einmal ausgenommen, das aber seine Beobachter entsendet. Im Einzelnen sind das Vladimir Klos, Caroline Llorca, Tadeusz Matacz und Harry Müller. Als weitere Jurymitglieder kommen Cynthia Harvey, Suwa Hitoshi, Ljubov Rakhmanina, Jaroslav Slavický sowie Alfio Agostino, Chefredakteur der Zeitschrift Ballet 2000 hinzu. Viele Teilnehmer stammen aus Brasilien, Russland und Deutschland. Erstmals sind auch angehende Tänzer aus Malaysia, Thailand, Venezuela und Paraguay.
Und das alles über Mundpropaganda und übers Netz.
Oleksi Bessmertni: Ja, das Networking mit anderen Festivals ist wichtig, nicht zuletzt deshalb war ich auch Juror bei Danza Brasil in São Paulo sowie auf Wunsch der Accademia di Danza di Roma Künstlerischer Leiter beim Premio Roma. Vor allem das Interesse von Privatschulen ist immens. Obwohl wir per Video-Einsendung eine Vorauswahl treffen und damit einen Profi-Standard garantieren, rechnen wir mit über 500 Teilnehmern in Berlin.
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