Die nächste Generation kommt
Choreografie ist Beruf, Handwerk und Talent. Ein Blick auf Weiterbildungsangebote in der Schweiz
Was soll die John-Cranko-Schule noch tun, um ihre Qualität und ihren Erfolg zu beweisen? Um zu zeigen, was für hervorragende pädagogische Arbeit hier geleistet wird und wie dringend ein immer wieder verschobener Neubau nun ist? Seit Jahren gehören die Schulaufführungen zu den Höhepunkten der Spielzeit in Stuttgart, regelmäßig bekommen fast alle Absolventen sofort einen Job in einer großen oder kleinen Kompanie, was wahrlich nicht jede staatliche Ballettakademie der Republik von sich behaupten kann. Bei den Aufführungen im Opernhaus sind, wie am letzten Sonntag wieder, keine gedrillten Ballettmaschinen zu sehen, sondern ausdrucksvolle, durchaus unterschiedliche Persönlichkeiten, selbständige und offene Künstler, deren Freude an ihrem Beruf in jedem Stück von der Bühne lacht. Früher ging man mit viel gutem Willen in die Schulmatineen und durchlitt so manche Zitterpartie, heute freut man sich auf eine strahlende, spannende Vorstellung mit anspruchsvollen Werken.
Zum ersten Mal zeigte die Schule eine Choreografie von George Balanchine, dessen Neoklassik bekanntlich von seinem amerikanischen Erben-Trust strengstens überwacht wird. Über den Pas de deux aus „Sylvia“ dürfte man in New York beglückt sein – die beiden Japaner Aya Okumura und Arata Miyagawa waren nicht einfach souverän und sicher, sie phrasierten wunderbar musikalisch, hatten schöne Arme und zauberten die technischen Schwierigkeiten mit einer Leichtigkeit auf die Bühne, die selbst erfahrenen älteren Kollegen manchmal fehlt (im Falle von Aya Okumura besser als manche Erste Solistin der Stuttgarter Kompanie). Wegen ihrer Größe dürften sie wohl dennoch Schwierigkeiten haben, einen Job in einer europäischen Kompanie zu finden. Ebenso faszinierend: das viertelstündige Solo „Notations I - IV“ zu Musik von Pierre Boulez, vor 13 Jahren von Uwe Scholz für Vladimir Malakhov choreografiert und schon rein konditionsmäßig nur von einem Toptänzer zu bewältigen. Daniel Camargo, virtuoser und auch noch gut aussehender brasilianischer Star des diesjährigen Abschlussjahrgangs und ab September in der Kompanie engagiert, wirkte nach den explosiven Sprüngen nicht mal sonderlich angestrengt, allerdings fehlt ihm noch das subtile Gefühl für die rhythmischen Kanten der Choreografie.
Frech und sexy standen uns wieder zwölf Mädchen und Jungen der oberen Klassen in Hans van Manens „In and Out“ gegenüber, schwirrten zu Songs von Laurie Anderson und Nina Hagen elegant um ihre drei Telefonzellen herum. Alessandra Spada aus der Akademieklasse hatte für ihre Mitschüler das neoklassische „Paure Nascoste“, also „Versteckte Ängste“ kreiert, auch die choreografische Begabung wird in der Schule gefördert. Neben Camargo gehen noch sechs Tänzer als Eleven zum Stuttgarter Ballett, andere haben Verträge in Dortmund, Magdeburg und bei Het Nationale Ballet in Amsterdam. An den „Etüden“ kann man sich auch nach mehreren Jahren kaum satt sehen; die Pädagogen der Schule müssen sich das 40-minütige Stück zur Musik von Carl Czerny dringend als eigenständige Choreografie patentieren lassen. Was eigentlich nur ganz nüchtern die verschiedenen klassischen Übungen von den Allerkleinsten bis zu den Akademieabsolventen zeigen soll, macht mit der großartigen Steigerung zum Schluss hin derart Spaß, dass die letzten Minuten grundsätzlich im Dauerapplaus untergehen. Ein Besuch der Wiederholungsaufführung am 12. Juli wird dringend ans Herz gelegt, vor allem den politischen Entscheidungsträgern bei Stadt und Land!
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