Giuliana Penzi Tanzpreis
Ballettpädagoge der John Cranko Schule ausgezeichnet
Kurz nach seinem 60. Geburtstag stand „Pineapple Poll“ wieder auf dem Spielplan in Stuttgart, wie in den letzten Jahren so oft als Aufführung der John-Cranko-Schule: ein großer Spaß im Stil einer Gilbert & Sullivan-Operette, very british mit seinem Hang zu Pantomime und Komik und genau richtig für die Präsentation einer Abschlussklasse, mit den wenigen Solorollen und den sechs Corps-de-ballet-Paaren, die durchweg gut zu tun haben. Die Titelfigur selbst, die fliegende Händlerin und Bänder-Verkäuferin Poll, blieb in diesem Jahr etwas zu sehr dem Klischeebild einer munteren Soubrette verhaftet – ein wenig goldiger und mädchenhafter hätte Ruiqi Yang bei all ihren schönen Pirouetten durchaus lächeln dürfen. Ganz anders ihr scheuer Liebhaber, der verliebte Schankjunge Jasper: Leander Rebholz schmachtete allerliebst in seiner Liebe und seiner Trauer um die vermeintlich tote Poll.
Robert Robinson brillierte als umschwärmter Strahlemann-Kapitän und jovialer Vorgesetzter, der einzig von seiner beleidigten Braut samt schnatternder Tante überfordert war; der große Tänzer fiel auch im diesjährigen Noverre-Abend als intensiver, bereits in jungen Jahren persönlichkeitsstarker Darsteller auf. Diese Bühnenpräsenz und Ausdruckskraft scheint sich immer mehr als das spezielle Markenzeichen der Cranko-Schule herauszukristallisieren, jedenfalls zeichnet sie Daniel Camargo, Absolvent 2009, genauso aus wie den schmalen, wendigen Mexikaner Gustavo Echevarria, derzeit noch in der Unterstufe der Akademie. Er war in den letzten Aufführungen durch seine beeindruckende Technik aufgefallen und interpretierte nun mit heftigen Körperwindungen und herrlich beschaulichem Gesichtsausdruck den schrägen Esel in Demis Volpis „Karneval der Tiere“.
Sehr viel origineller übrigens als seine Alternativbesetzung Alexander McGowan, mit dem er sich auch im „Pas de deux romantique“ des estnischen Schulleiters und Choreografen Enn Suve abwechselte. Das trockene, wenig effektvolle Werk zu Musik von Giacomo Meyerbeer verharrt oft in Posen und Balancen, legt jeden Fehler sofort offen. Der sehr große (vielleicht zu große) McGowan machte hier genauso gute Figur wie seine Partnerin Agnes Su mit ihren bombensicheren, schönen Balancen, während Mai Aihara neben dem merkwürdig zögerlichen Echevarria nicht ganz so firm wirkte. Schade nur, dass von Constantine Allen, dem hochgelobten Sieger des Berliner Tanzolymps, in den beiden Matineen so wenig zu sehen war. Hilke Rath hat ihr Stück „Im Fluss“ vom letzten Jahr für die Jungs der mittleren Klassen erweitert, nun zaubern die flatternden Folienbahnen noch mehr Tänzer auf die Bühne und im Hinaushuschen wieder fort. Das abstrakte, fließende Stück betont Schnelligkeit und Biegsamkeit, zeigt außerdem die gute Koordination der Gruppe.
Mit den vielen liebevollen, witzigen Choreografie-Einfällen und den originellen Kostümen von Ausstatterin Katharina Schlipf macht Demis Volpis „Karneval der Tiere“ bei jeder Begegnung mehr Spaß. Bei aller typischen Bewegungsart sehen seine Tiere so menschlich, so ungekünstelt und lebensecht aus – die sich gegenseitig ohrfeigenden Elefanten etwa oder die misstrauischen Kängurus; mit geradezu feministischen Hintergedanken zeigt Volpi hier die jungen Ballettmädchen einmal nicht als zerbrechliche Elfen auf Spitze, sondern als wehrhafte Boxerinnen in breitbeiniger Angriffshaltung. Die großen Ballettfans freuen sich über die Insider-Pointen, den bereits arg toten „Sterbenden Schwan“ zum Beispiel oder die Reaktion des kleinen Träumers, als er zu Saint-Saëns begeisterter Musik die klassischen Tänzerinnen auf sich zueilen sieht und schreiend davonläuft. Und auch das muss einem erst mal gelingen: ein ganzes amüsiertes und aufgeregtes Opernhaus zum atemlosen Staunen zu bringen – Volpi schafft es mit seinem geheimnisvollen, vielarmigen Wasserwesen, wahrhaft ein magischer Moment. Sein Stück ist eine große Gemeinschaftsarbeit für die vielen verschiedenen Ensembles, hier ist fast immer die Gruppe der Star. Wer in den alten Programmheften der Cranko-Schule blättert, findet den jungen Choreografen als Absolventen des Jahres 2004, in einem der früher typischen Ballettschul-Programme aus klassischen Variationen und Volkstänzen. Im Herbst ist Demis Volpi zum ABT eingeladen – ob sich sein Schulleiter Tadeusz Matacz diese Entwicklung der Dinge damals träumen lassen hätte?
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments