Getanzte Sprachspiele
„Schwanensee“ in Nordhausen als „Ballett einer Se(h)ensucht nach Schwanensee“ von Ivan Alboresi
In Nordhausen tanzt „Camille Claudel. Bildhauerin.“ ihrem Wahn entgegen
Wer in Paris das Musée Auguste Rodin besucht, sieht dort neben den grandiosen Arbeiten des Altmeisters auch kleinere Plastiken von Camille Claudel, deren Qualität besticht. In Nordhausen hat Jutta Wörne der so talentvollen wie glücklosen Künstlerin ein bewegendes choreografisches Denkmal gesetzt. Die Vita formt sie nicht zum expressiv dramatischen Handlungsballett um, sondern lässt einzelne Stationen in sinfonisch dichten Stimmungsbildern aufleuchten. Schon früh entdeckt die 1864 geborene Camille ihre Liebe zur Skulptur, darf in Paris, außerordentlich für eine Frau, Unterricht nehmen, gerät bald an Rodin. Ihm, der 24 Jahre älteren Berühmtheit, wird sie Schülerin, Muse, Geliebte. Als es zum Bruch zwischen den beiden in Kunst und Feinnervigkeit Ebenbürtigen kommt, verliert sie den Halt, zerstört viele ihrer Werke, trinkt, wird mit der Diagnose Paranoia von der Mutter in eine Anstalt eingewiesen. Nach mehr als drei Jahrzehnten stirbt sie dort 1943, ohne je wieder modelliert zu haben.
Eine Anstalt zeigt auch Wolfgang Kurima Rauschnings aufragender Bühnenraum aus wellblechartigen Wänden. Am Mittelteil kauert, barfuß und im langen Mantel, Camille. Zum Streichquartett g-Moll von Claude Debussy (dem man eine Affäre mit Camille nachsagt) fährt die Mittelwand nach hinten, macht den Raum weit; Camille klappt Teile der Seiten auf, als öffne sie Fenster, bringe Licht ins verflossene Leben. Zu je acht Szenen entrollt es sich zwei Akte und 90 Minuten lang. Kaum erscheint als zentrale Gestalt in dieser Rückblende Rodin, ballen sich beider Fäuste zum Kampf. In seinem Gefolge finden sich Spezies der konservativen Gesellschaft: Steif und schwarz gewandet unter Zylindern wenden sie sich mit abgezirkelten, ruckhaften Bewegungen stücklang bedrohlich gegen Camille. In leuchtendem Blau ist auch ihr jüngerer Bruder Paul dabei, später namhafter Schriftsteller und Diplomat. Aus Zylindern formt Camille einen Kreis um sich, Symbol ihrer Außenseiterposition. Halt gibt ihr die Kunst. Tänzer werden jenes bildsame Material, an dem sie formt und richtet. Zwei Männer helfen und bedrängen sie gleichermaßen, der verliebte, auch wohl kunstneidische Rodin und ihr geliebter Bruder. Ein skulptural verknotetes Trio spiegelt die Situation: An Pauls Brust sinkt sie, Rodin schmiegt sich ihrem Fuß an. Erinnert ein verspieltes Duett mit Paul an die gemeinsame Kindheit, so wird in der gemeinsamen Arbeit mit Rodin aus Liebe rasch wirkliche oder gefühlte Konkurrenz. Als Camille ihre personifizierten Figurengruppen zerbricht, hält Rodin noch zu ihr.
Im Teil nach der Pause belebt sich Camilles Plastik „Die Schwätzerinnen“ in lebensstrotzend groteskem Tanz mit sperrenden Mündern. Doch schon haust sie da in der eigenen Welt, zu der Pauls Diesseitigkeit mit ihren zackigen Wendungen keinen Zugang hat. Den „Walzer“, ein Paar, das in seliger Umschlingung einem Block entwächst und vielleicht die Beziehung zum Bruder abbildet, betastet Rodin, sonst selbstsicher und stolz, in Bewunderung. Das folgende Adagio mit ihm ist die choreografische Perle des Abends. Im Wechsel zwischen Ansturm des Begehrens und wilder Ablehnung zeichnet es plastisch und zeitgedehnt eine Liebe der totalen Hingabe bis zum Wahn nach. Dass Camille ihn am Ende fortstößt, leitet ihren Untergang ein. Selbst Paul bleibt nur noch, sie grob hochzureißen, ihr den Mantel wie eine Zwangsjacke überzustreifen. Blicklos verlässt er sie, Camille stemmt sich gegen die einengend vorfahrende Mittelwand, sinkt dann apathisch zu Boden.
Mit „Camille Claudel. Bildhauerin.“ ist Jutta Wörne in moderner Bewegungscharakteristik eigenen Zuschnitts und stilistisch aus einem Guss eine fast sachliche, dabei emotionale Annäherung an ein Künstlerschicksal gelungen. Wie musikalisch sie die per Band eingespielten Kompositionen von Ravel, Francaix, Strawinsky, Barber, Schnittke ihrem choreografischen Feingespinst unterlegt, macht den Abend ebenso sehenswert wie die präzis agierende Compagnie aus zwölf Tänzern. Als Camille kommt Aleksandra Wojcik keine Minute von der Szene und findet viele Nuancen, Arkadiusz Glebocki ist ein Paul, der letztlich bei sich selbst verharrt, Jérôme Gossets Rodin wächst sich zur rundum dominierenden Figur aus.
Wieder 29.4., 10., 16.5.
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