Bleibende Sehmomente
Gelungener Triple Bill beim Ballett Kiel
Starchoreograf Christopher Bruce begeistert mit seiner Uraufführung „Ten Poems“ und zwei älteren Stücken am Ballett Kiel
Drei Stücke, drei Mal donnernder Applaus und eine Kieler Kompanie, die an diesem Abend wieder einmal mit unglaublicher Energie und Freude am Werk war. Lange Zeit hatte der britische Choreograf Christopher Bruce mit keiner deutschen Kompanie mehr gearbeitet, man war also besonders stolz, dass er nun mit „Ten Poems“ ein Werk eigens für das Kieler Ballett geschaffen hatte. Eingerahmt wurde das Neulingswerk von zwei älteren Stücken des Choreografen, der sich mit der Rambert Dance Company einen Namen gemacht hat.
Den Auftakt bildete das kurzweilige Stück „Shift“. Drei Tänzerinnen in grauen Arbeitskitteln und mit Kopftüchern bedienen zu der mechanisch wirkenden Musik – Grooveboxes von Kenji Bunch – imaginäre Maschinen. Sie spucken in die Hände, ziehen an Hebeln, drehen an Rädchen, wischen sich den Schweiß von der Stirn. Christopher Bruce lässt diese Alltagsgesten geschickt in tänzerischen Bewegungen übergehen und kreiert mit den ästhetischen Bewegungen des klassischen Tanzes einen interessanten Kontrast zum Bild der Fabrikarbeiterinnen.
Das neue Stück von Christopher Bruce ist weniger vom klassischen als vom modernen Bewegungselementen geprägt. Zehn Gedichte des Schriftstellers Dylan Thomas haben ihn zur Choreografie von „Ten Poems“ inspiriert und so steigen zu Beginn des Stücks drei Tänzerinnen in altmodischen Unterhosen langsam aus den Tiefen des Orchestergrabens auf die Bühne als würde der Geist des Dichters zu Leben erwachen. Ganz zart lassen sie dünnes Papier zu Boden fallen, bevor sie wieder im Dunkel verschwinden und ein einzelner Tänzer im Spotlight beginnt sich zu den ersten gelesenen Worten der Gedichtserie zu bewegen und zu drehen. Ursprünglich wollte sich der Choreograf nur von der Musikalität der Gedichte leiten lassen und die Bewegungen abstrakt halten, schlussendlich ist aber doch auch der Inhalt der Gedichte in die Bewegungen eingeflossen. Zum Glück, denn so werden die wundervollen Texte des Dichters im Tanz lebendig, die Figuren werden sichtbar und verleihen durch die tänzerische Bewegung den Worten eine ganz neue Kraft und Bedeutung. „Geh nicht gelassen in die Gute Nacht“ bei diesen Worten beispielsweise klammert sich ein Tänzer wiederholt an die Beine seines Partners, fleht ihn an nicht in den Tod zu gehen und schafft in diesem kleinen Zusammenspiel eine unglaublich intensive und rührende Wirkung der Worte. Immer neue Gedichte bringen immer neue Figuren. So sieht man die Jungen des Sommers mit ihren Mädchen und den Buckligen im Park. Am Ende versammeln sich alle noch einmal auf der Bühne bis sie langsam erstarren. Christopher Bruce hat in dieser Choreografie wunderbar die melancholische Stimmung der Gedichte aufgefangen und auch ohne Musik nur mit dem gesprochenen Wort eine ganz eigene Melodie zum tanzen gefunden.
m bunten Kontrast zu dieser Stimmung steht die letzte Choreografie des Abends „Rooster“, das älteste Stück von Bruce aus dem Jahr 1991. Huldigte er im vorangegangenen Stück den Worten, ist dies eine Ode an die Musik der Rolling Stones und ihrer Zeit. Hier tritt der Choreograf den Beweis an, dass sich Rock'n'Roll und Ballett nicht ausschließen, sondern ganz im Gegenteil wunderbar ergänzen. Die Kieler Tänzer zeigen dabei, was in ihnen steckt. Neben einer technisch perfekten Leistung nämlich auch komisches Talent. Auf staksigen Beinen und einem seltsam nickenden Kopf stolzieren die Tänzer über die Bühne um sich im nächsten Moment wieder durch die Haare zu fahren um den Sitz der Frisur zu überprüfen. Die Ähnlichkeit mit dem aufgeblasenen Gockel ist nicht zu übersehen und so spielt die Choreografie auf herrlich ironische Weise mit Männer- wie mit Frauenklischees. Eine Frau treibt ihren Partner mit einer knallroten Federboa in den Wahnsinn, drei aufreizende Groupies zwingen ihren Star letztendlich in die Knie, immer wieder tauchen neue interessante Konstellationen auf. In kurzen Sequenzen wie bei „As tears go by“ verlangsamt sich das Tempo kurz um dann wieder unglaublich zu beschleunigen. Die Tänzer in bunten Hemden, Krawatten und Jackets wirbeln in Rockstarposen nur so durch die Luft und der Spaß beim Tanzen ist ihnen deutlich anzusehen. Ein wirklich gelungener Abend.
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