In der Blasmusik steckt der Fortlauf des Lebens
"En Avant, Marche!" von Alain Platel und Frank Van Laecke als deutsche Erstaufführung
Zum Ende von „Ludwigsburg Dance09“ meldet sich der HipHop zu Wort
Ludwigsburg, 1709 gegründet, feiert unter dem Motto „Ideenreich“ seinen 300.Geburtstag. Ein schönes Motto, zumal sich die Barockstadt im Reich der Ideen auf ihre Tanztradition besinnt und Tanzgastspiele – veranstaltet vom Kulturamt und den Schlossfestspielen – mit Tanzproduktionen der freien Szene rund um die Tanz- und Theaterwerkstatt zum Tanzfestival „Ludwigsburg Dance09“ bündelt. Mit „HipHop on Stage“ findet das Festival auf der Bühne der Karlskaserne seinen krönenden Abschluss.
Der Abend, ein klassischer Dreiteiler, zeigt eine temperamentvolle HipHop-Show aus dem Schüler-Tanzprojekt „Das Wagnis“, dem Syndicate Danceproject „May be Tomorrow“ sowie der Uraufführung von „Voodoo Vibes. The Magic HipHop Dance Theatre“ des Duos Marco Marçal und Sven Weller, bekannter als Poppin-Hood.
Beeindruckend was Daniecell, die Choreografin mit mexikanischen Wurzeln, in wenigen Wochen mit 45 Schülern (42 Mädchen, 3 Jungs), darunter einige ohne tänzerische Praxis, auf die Bühne bringt. Die mehrfache österreichische Meisterin in Breakdance, Electric Boogie und HipHopDuo erzählt witzig, flott und Zeit gerafft die Geschichte der Stadtgründung. Geschickt integriert sie Vorkenntnisse der Protagonistinnen, lässt Amateure ebenso gut aussehen wie Ballett-, Jazz- und Modernschülerinnen. Als Erzähler brilliert in der Rolle Ludwigs mit Zopfperücke, Jabot und moderner Sportkleidung der Rapper Maeckes alias Markus Winter. „Das Wagnis“ mit zwölf bis 18 Jahre jungen Amateuren und einigen Semiprofessionellen, die sich zuvor nicht kannten, aus unterschiedlichen Schulen kommen und verschiedenste kulturelle Herkünfte mitbringen (Deutschland, Italien, Türkei, Russland und Indien), hat sich gelohnt. Strahlende Gesichter und Riesenapplaus.
Ebenso temporeich und einen Tick dramatischer zeigt das Syndicate Danceproject, was regionale Profitänzer unter Anleitung eines alten HipHop-Hasen in nur zwei Wochen zustande bringen. Inspiriert vom Gemälde „Das Floß der Medusa“ des Romantikers Théodore Géricault sowie von der Fernsehserie „Lost“, hat der Pariser Choreograf Thierry Martinvalet, alias Nasty (42) gemeinsam mit den Tänzern eine abenteuerliche Robinsonade samt filmreifem Soundtrack entwickelt. In Hochform: die Breaker Amir El Kourdi und Bahar Gökten, der Popping- und Locking-Spezialist Alexander Burkhardt aka Funkey sowie die beiden HipHop-, Jazz- und Modern Dancer Sarah Hammerschmidt und Andreas Hirneise überbieten sich an Dynamik, Ideen und Tanzlust. Hingerissen vom fulminanten Schlagabtausch der Stile gibt das Publikum immer Szenenapplaus. „Maybe Tomorrow“ heißt das Stück und man wünscht sich von diesem Syndikat mehr zu sehen, vielleicht schon morgen.
An Technik, Perfektion und Ideenreichtum steht „Vodoo Vibes“, eine magisch-surreale Begegnung zwei sonderbarer Typen dem Syndicate Danceproject in nichts nach. Immerhin ist Poppin-Hood (alias Sven Weller in der Rolle des arglosen Flaneurs Hoodini) neunfacher deutscher und zweifacher Weltmeister im Electric Boogaloo, verkörpert ein Dutzend weiterer Styles und integriert mit atemberaubender Geschwindigkeit Hut-Tricks in seine außerirdischen Auftritte; während der promovierte Philosoph Marco Marçal (in der Rolle des schön-schaurigen Hexenmeister Voodini) Afro-, Samba- und Percussionstechniken beherrscht. Dass die lang ersehnte Uraufführung ihres ersten Abendfüllers – zwei Jahre harte Arbeit stecken in dem Gesamtkunstwerk mit Filmprojektionen – floppt, liegt vor allem an der Detailverliebtheit des Duos, die darüber den Spannungsbogen aus den Augen verloren haben. Zudem wirkt die epische Form neben den straff strukturierten Kompositionen langatmig, teils behäbig. Auch wenn im Stück die über Film eingespielte Figur des Großmeisters und bösen Manipulators (grandios: Udo Zepezauer) erledigt wird, täte der Bühnenrealität eine erfahren-sensible Regiehand gut.
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