Zwischen Meditation und Kampfkunst

Sidi Larbi Cherkaoui und die Mönche des Shaolin-Tempels Henan

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Ludwigsburg, 13/06/2009

Ballett- und Tanz-Baden-Württemberg, Du hast es gut (noch)! Am gleichen Abend, zur gleichen Zeit, in beiden Hauptstädten des Landes, zwei Top-Ereignisse. Im Badischen Staatstheater zur Eröffnung der 2. Karlsruher Ballettwoche eine fünfteilige Premiere der Birgit-Keil-Kompanie, darunter nicht weniger als vier Uraufführungen (leider kein Terence Kohler mehr, dafür immerhin „Sacre du printemps“ von Davide Bombana – alle ausgestattet von rosalie). In Stuttgart/Ludwigsburg im Rahmen der Schlossfestspiele simultan das Gastspiel von Sidi Larbi Cherkaoui, samt den Mönchen des Shaolin-Tempels Henan. Aktueller geht es nicht!

Ein Kompliment den Ludwigsburgern, denen es gelungen ist, nach Wayne McGregor und seiner Random Dance Company auch in diesem Jahr wieder eine der international meist diskutierten Produktionen des Tanztheaters ins Forum-Theater am Schlossgarten zu holen. Kompliment aber auch dem Publikum, das beim Gastspiel des wallonisch-marokkanischen Cherkaoui mit seiner „Myth“-Produktion vor zwei Jahren noch keineswegs von seinen Qualitäten hundertprozentig überzeugt schien – diesmal aber den Zuschauerraum geradezu übererfüllte. Und so gab es denn auch uneingeschränkten Beifall für sein nicht gerade sonderlich benutzerfreundlich tituliertes Achtzig-Minuten Stück „Sutra“ – einen Sammelbegriff für die buddhistischen Lehrsätze eines Lebens der inneren und äußeren Stille, das die chinesischen Mönche seit Jahrhunderten praktizieren – und von dem wir noch am ehesten eine Ahnung erhalten haben durch die Filme mit Bruce Lee und Jackie Chan.

Es ist die faszinierende Gegenüberstellung von Meditation und raffiniertester Kampfkunst, die Cherkaoui in seinem Stück vorführt. Sie beginnt fast wie ein Zeitlupen-Schachspiel zwischen einem Guru (Cherkaoui) und einem elfjährigen Novizen, auf einem hochgestellten Aluminiumkasten, während im Hintergrund der Bühne breit gelagerte Holzkisten eine Art Mauer bilden – dazu erklingt eine feinstimmige fünfstimmige Kammermusik, live gespielt hinter einem Vorhang. Die Holzkisten hat Antony Gormley entworfen, ein britischer Bildhauer, gerade mal schulterbreit und circa 1,80 hoch – sie wirken wie Zellen oder Lego-Bausteine und können horizontal oder vertikal aufgestellt werden. In ihnen liegen ausgestreckt die siebzehn Mönchsfiguren. Sind es Schlafzellen oder Grabstätten? Letzteres wohl nicht, denn die Figuren rollen sich aus ihrer horizontalen Lage auf die Bühne, bringen die Mauer zum Einsturz, und benutzen die Holzkisten als ständig verwandeltes Dekor, das so ein permanent verändertes Bühnenbild ergibt.

Mit ihm und mit einigen wenigen Requisiten (Schwertern, Stöcken …) führen sie ihre strikt ritualisierten Bewegungen aus, schnelle Läufe, Sprünge, hohe Tritte, in der Luft vollführte Kehrtwendungen, auf dem Boden Rollen, rückwärtige Überschläge, explosive Ausbrüche, gefolgt von Momenten absoluten, lauernden Innehaltens. Es gibt atemberaubende akrobatische Soli und kämpferische Kollektivauseinandersetzungen, bei denen man den Eindruck hat, dass es sich um eine Schlacht gegnerischer Truppen handelt, deren Kampfpläne (Choreografien) minuziös ausgeklügelt sind, so dass es nie zu irgendwelchen direkten Crashes kommt. Man kennt dergleichen aus den einschlägigen Filmen, die diversen Techniken der Martial Arts, des Kung Fu, Tai-Chi und Karate – zum Teil ja auch aus der Peking-Oper, hat dergleichen aber nie zuvor in dieser elektrisierenden Direkt-Ausführung auf der Bühne erlebt – und schon gar nicht in dieser ästhetischen Vollkommenheit. Man erinnert sich an die Zusammenarbeit von Cherkaoui mit Akram Khan und merkt sich schon einmal dessen nächsten Ludwigsburger Auftritt am 9. Dezember (Akram Khan Company & National Ballet of China).

 

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