Weinlese zwischen römischen Ruinen
Carla Fraccis „Giselle“ in den Caracalla-Thermen
Carla Fraccis „Giselle“, letztmals unter freiem Himmel in den Caracalla-Thermen aufgeführt (siehe tanznetz vom 17.08.2008), wurde auch in den wenigen Vorstellungen, die dieses Jahr im römischen Teatro dell’Opera stattfanden, mit prominenten Gästen besetzt, beispielsweise Evgenia Obraztsova aus dem Mariinsky-Ballett mit David Makhateli vom Royal Ballet, sowie Ashley Bouder aus dem New York City Ballet und Robert Tewsley.
Die „Giselle“-Version von Carla Fracci, selbst eine der großen Interpretinnen dieser Rolle (gleichzeitig zur „Giselle“-Serie trat sie im benachbarten Teatro Nazionale im 1998 von Maurice Béjart für sie geschaffenen Stück „L’Heure Exquise“ auf) zeichnet sich unter den „klassischen“ Giselles durch besonders viele Änderungen und Zusätze aus – darunter zahlreiche Relikte aus früheren Versionen des Balletts. Jedoch überzeugt ihre Inszenierung im Opernhaus weniger als unter freiem Himmel, wo man während der allzu langen Wahnsinnsszene oder den ausufernden zusätzlichen Tänzen des Corps de ballet notfalls immer noch die Sterne oder die beeindruckend im Hintergrund aufragenden römischen Ruinen bewundern kann. Im Theater ist man jedoch hilflos jenen dramaturgisch wenig nützlichen Arabesken ausgeliefert und kein Mondschein im Pinienhain täuscht über gewisse Unsicherheiten im Bauern-Pas-de-deux und im Corps de ballet hinweg. Andererseits gibt es auch einige reizvolle zusätzliche Pas de deux und ein zusätzliches Solo für Giselle.
Dieses kann nur entzücken bei einer Giselle vom Format einer Evgenia Obraztsova. Ihre elegante Bauernmagd war ein Beispiel an strahlender, lebensfroher Unschuld, und selbst die langgezogene Wahnsinnsszene wirkte in ihrer Interpretation natürlich und berührend. Gleichzeitig glänzte sie durch die messerscharfe Technik der besten Mariinsky-Ballerinen. Im zweiten Akt wurde sie ganz Heinescher Elementargeist, der sich mal lyrisch mit endlosen Balancen, mal lebhaft mit schneller präziser Fußarbeit, stets jedoch mit schwereloser Grazie um den reuigen Albrecht bemühte. David Makhateli vom Royal Ballet hatte es schwer, sich gegen eine so profilierte Partnerin zu behaupten und ging im bunten Treiben des ersten Aktes ziemlich unter. Im zweiten Akt zeigte er eine korrekte Variation, doch rührte sein Schicksal den Zuschauer deutlich weniger als das der Giselle, die den Herzensbrecher um jeden Preis zu retten suchte.
Auf das Flehen der beiden Liebenden reagierte Alessandra Amatos strenge und klösterliche Myrtha mit eisiger Gelassenheit – die vielversprechende junge Solistin beeindruckte am Anfang des zweiten Aktes mit Variationen von unbeirrbarer Präzision. So kann nur die Morgenröte, die die Willis ihrer Macht beraubt, den vor Erschöpfung zusammengesunkenen Albrecht retten. Nach dem letzten Abschied des Paares, dessen zarte Musik normalerweise im Verklingen das Ballett beschließt, setzt hier das Orchester noch einmal in voller Stärke zu einem dramatischen Finale an. Albrechts Verlobte und die ganze Hofgesellschaft kommen nun auf die Bühne geeilt, um den Abtrünnigen ins heimische Schloss zurückzulocken, worauf jener, eine Blume aus Giselles Grab betrachtend, entsetzt die Flucht ergreift.
Bühnenbild und Kostüme von Anna Anni, üppig wie stets in Rom, schaffen eine zeitlose Atmosphäre – mit erstaunlichen Details wie den gotischen Spitzbögen, die die Waldgeister einrahmen, oder Albrechts Schloss, das wie ein Krönchen hoch oben auf einem riesigen Berg ruht. Inspiriert zeigte sich das Orchester unter David Garforths meisterhafter Leitung.
Besuchte Vorstellung: 27.02.2010
www.operaroma.it
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