Zweigeteilter Dandy

Neue „Onegin“-Besetzungen

Stuttgart, 13/01/2010

Eine so gute Olga hat Stuttgart schon lange nicht mehr in „Onegin“ gesehen (und Crankos schönstes Handlungsballett steht in den letzten Jahren oft, zu oft auf dem Programm): Hyo-Jung Kang tanzt leicht und fein, mit grazilen Armen und wie schon bei ihrem Dornröschen technisch makellos, wobei sie ihre sicheren Drehungen und langen Balancen nie aus Selbstzweck vorführt, sondern stets musikalisch phrasiert und aus der Rolle heraus motiviert. Tatjanas leichtfertige Schwester ist bei ihr heiter und fröhlich, aber nie zu kokett; Kang spielt intelligent und übertreibt nie, es ist die helle Freude. Genau wie bei ihrem Lenski: auch William Moore hat sich in seiner zweiten Aufführung die Rolle schon derart sicher zu eigen gemacht, als hätte er sie jahrelang getanzt, selbst wenn er noch minimal mit den vielen verschiedenartigen Drehungen seines Solos im zweiten Akt hadert. Wo Vladimir Malakhov als empfindsamer Lyriker litt und Friedemann Vogel als tragischer Klassizist, da ist Moores Lenski ein Romantiker Byronscher Abstammung, der an die reine Liebe glaubt und in großen, wahrhaften Gefühlen lebt. Zwei Tänzer voll natürlicher Spontaneität und darstellerischer Intelligenz, ein ganz erstaunliches Paar!

Myriam Simon dagegen, die als Tatjana debütierte, übertreibt es ein wenig mit der Mimik – im Spiegel-Pas-de-deux strahlt sie zu breit und wirkt dadurch gar ein wenig dümmlich, im Pas de deux mit Gremin ist sie dann sehr ernst und verschlossen. Von einem etwas verhuschten, fast schon späten Mädchen - bereits ihre junge Tatjana wirkt irgendwie mutlos, erscheint nur in ihrem Traum wirklich glücklich – wird sie zu einer ernsten, gebrochenen Frau; die Wandlung ist durchaus nachvollziehbar, anders als bei ihrem Partner. Evan McKie war seit seiner Ernennung zum ersten Solisten verletzungshalber kaum auf der Bühne zu sehen und sorgt hier mit einer penibel einstudierten, manchmal recht künstlichen Darstellung für einen interessanten Gegensatz zum natürlichen Spiel von William Moore. Technisch und als Partner hat er seinen Part bestens im Griff, obwohl er weit schöner dreht als springt. Seine Interpretation des dunklen Dandys aber ist derart zweigeteilt, dass sie in der Mitte auseinanderbricht.

Einige Minuten lang wirkt sein erster Auftritt wie die reine Heinz-Clauss-Kopie, dann wird Onegin zunehmend eingebildeter. McKie interpretiert ihn, noch stärker als Robert Tewsley damals, als überheblichen Fatzke, herablassend und hochmütig, leider auch an den grundfalschen Stellen: als er Tatjanas Brief zerreißt und eigentlich hinter ihrem Rücken eine kleine zögernde Geste machen sollte, als er Lenskis Herausforderung zum Duell akzeptiert, wo Onegin sonst bereits erkennt, dass er zu weit gegangen ist, und sogar als er Lenski erschossen hat und in seinem schwarzen Umhang wieder die Szene betritt – das sieht nun wirklich aus, als habe er den früheren Freund mit Fug und Recht erlegt. Der kanadische Tänzer raubt Crankos Protagonist das Zweideutige, das Interessante; es fehlt der winzige Widerhaken in Onegins stolzem Charakter, der Funken Menschlichkeit hinter dem düsteren Äußeren, der uns die Möglichkeit zur Wandlung im letzten Akt glaubhaft machen kann. Denn im leidenschaftlichen Schluss-Pas-de-deux wirkt dieser Onegin wie ausgetauscht – McKie tanzt wesentlich freier, als stünde ihm sein eigener Ehrgeiz nicht mehr im Weg, auch Myriam Simon lässt sich ganz von der Tragik ihrer Rolle mitreißen. Das Corps de ballet war wie immer bestens präpariert, bei aller Kritik an den Nuancen wird „Onegin“ in Stuttgart doch stets sorgfältig und niveauvoll getanzt.
 

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