„Zimmermann, Scholz, das war ein Abenteuer“
Mario Schröder bilanziert im Interview seine Zeit in Leipzig
Mario Schröder nimmt „Die große Messe“ von Uwe Scholz wieder ins Repertoire
Diese Leipziger Arbeit von Uwe Scholz aus dem Jahre 1998 führt wie kaum eine andere bei tief empfundener Religiosität kraft der Musik Mozarts zur Vernunft auf der Grundlage von Demut. Unmenschlichste Abgründe der Unvernunft werden nicht ausgespart. Horst Koegler schrieb nach einer Aufführung im März 2005 in Ludwigsburg, nur drei Monate nach dem frühen Tod des Ausnahmechoreografen, von einem „Vermächtniswerk“ und bezeichnete „Die Große Messe“ als die „Kathedrale von Leipzig“. Seiner Empfehlung an die Stadt, sich einer solchen kulturhistorischen Tat bewusst zu sein, also weitere Aufführungen dieser und anderer Werke von Uwe Scholz zu gewährleisten, möchte man sich gerade angesichts der Neueinstudierung uneingeschränkt anschließen. Leipzigs neuer Ballettchef Mario Schröder hat sich ausdrücklich im Anschluss an die umjubelte Wideraufnahme dazu bekannt, das Erbe anzunehmen, das wird ihm aber nur möglich sein, wenn die Kompanie stark genug bleibt.
Diese Arbeit von Uwe Scholz, die bei zwei Stunden ohne Pause den Zuschauer in den Bann zieht, deren Bilder lange nachwirken, deren Musik und Texte in Fragmenten weiter klingen und zu eigenen Bildern der Sehnsucht und des Versagens führen, hat keinen Deut an Aktualität verloren. Selten ist es gelungen, den Widerspruch vom Ebenmaß mittelalterlicher Kathedralarchitektur aus den Grundformen des Kreuzes, des Dreiecks und des Kreises so verstörend in den Gegensatz zu stellen zur zerstörenden Finsternis schlotternder Einsamkeit, verräterischer Spiele um Leben und Tod und letztlich würdelos weggeworfenem Leben, in Bildern die an Leichenberge in Auschwitz oder Bergen-Belsen denken lassen. Auf der einen Seite die Feier harmonischer Gleichberechtigung himmlisch-versöhnter Menschlichkeit zu Mozarts visionärer Musik zum liturgischen Drama des Menschenopfers, hart dabei die stummen Schreie in der Finsternis zur Musik von Thomas Jahn, György Kurtag und Arvo Pärt. Scholz hat Texte eingearbeitet, Gedichte von Paul Celan, etwa „Brandmahl", dessen Bild vom „Uhrwerk der Schwermut“ den Charakter dieses Abends beschreibt, oder die Assoziation vom baumhohen Gedanken, der sich den Lichtton greift, weil eben noch Lieder zu singen seien, jenseits der Menschheit, wie sie der Dichter in „Fadensonnen“ verwendet.
Es ist bezeichnenderweise derselbe Tänzer, dem es obliegt, Celans Verse zu sprechen und sich die Faust in den Mund zu pressen, um nicht weiter von dem sprechen zu müssen, was sich den Worten versagt. Dass sich die Kunst des Uwe Scholz auch neuen Generationen von Tänzerinnen und Tänzern nicht versagt, zeigt der Abend, dessen Sachwalter Mario Schröder zur Uraufführung Celans Verse sprach und sich so eindrucksvoll den Mund verschloss. Er kann weitergeben, was er in der Arbeit mit Uwe Scholz bekam und wie man sieht, bewahrt hat. Dass „Die große Messe“ am Beginn der Arbeit mit dem Vermächtnis steht, ist im Kontext der Ästhetik von Schröder programmatisch zu verstehen, dass sich daran Hoffnungen knüpfen, ist klar, dass man gewillt ist, manche einzulösen, darf man nach diesem Abend gerne glauben. Dazu gehört allerdings auch ein Maß der Demut, wie uns nicht zuletzt Mozart und Scholz vermitteln, wenn dieser so weit dimensionierte Abend mit dem so schlicht gesungenen „Agnus Dei“ zu Ende geht, die Tänzerinnen und Tänzer Kostüme und Masken ablegen, den Schweiß von den Gesichtern wischen und zuhören, schweigen und zuhören. Das tun sie mit uns im Zuschauerraum gemeinsam. Viel mehr dürfte im Theater zur Erlösung vom Bösen nicht möglich sein.
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