„Zimmermann, Scholz, das war ein Abenteuer“
Mario Schröder bilanziert im Interview seine Zeit in Leipzig
„PAX 2013“ als Ballettpremiere von besonderer Bedeutung für die Stadt
Der Choreograf Uwe Scholz wurde 1958 geboren und starb 2004 im Alter von nur 45 Jahren. Ausgebildet von 1973 bis 1979 in Stuttgart von John Cranko, gefördert von Marcia Hydée, wurde er bereits 1981 zum Choreografen des berühmten Stuttgarter Balletts berufen. 1985 wurde er mit nur 26 Jahren als Chef des Balletts in Zürich der bislang jüngste Leiter einer Kompanie von europäischer Bedeutung. Von 1991 bis zu seinem Tod war Uwe Scholz Chefchoreograf in Leipzig, er schuf hier Werke, die das Leipziger Ballett weit über die Grenzen der Stadt bekannt machten und die heute von großen Kompanien getanzt werden. Intendant der Oper Leipzig war der 1943 in Dresden geborene Komponist Udo Zimmermann.
Die erste eigene Kreation für Leipzig von Uwe Scholz im Jahre 1992 war „Pax questuosa - Klagender Friede“ zur Musik der gleichnamigen chorsinfonischen Komposition von Udo Zimmermann aus dem Jahre 1982, damals im Auftrag der Berliner Philharmoniker zu deren 100. Geburtstag komponiert und von diesem Orchester auch uraufgeführt.
Derzeit ist Mario Schröder, geboren 1965, Ballettdirektor und Chefchoreograf in Leipzig. Schröder, ausgebildet an der Dresdner Palucca Schule, noch bei der Namensgeberin selbst, geprägt durch Patricio Bunster, war erster Solist beim Leipziger Ballett, hat in vielen Kretaionen von Uwe Scholz getanzt, u.a. auch in „Pax questuosa“. Obwohl selbst einer weniger neoklassisch geprägten Ästhetik verpflichtet wie Uwe Scholz, ist er dessen Werk zutiefst verbunden und kommt in großer Verantwortlichkeit der Verpflichtung nach, Werke von Uwe Scholz immer wieder ins Leipziger Repertoire zu nehmen. Jüngste Premiere ist „Pax questuosa“, gemeinsam mit einer choreografischen Uraufführung zu Musik von Johann Sebastian Bach und einer neueren Komposition von Udo Zimmermann, einem kammermusikalischen Werk, „Lieder von einer Insel“, von 2009. Mario Schröder nennt den ganzen Abend programmatisch „PAX 2013“, und stellt seine Kreation mit dem Titel „Blühende Landschaft“ der Rekonstruktion des Werkes von Uwe Scholz und Udo Zimmermann voran.
Zimmermanns Komposition „Pax questuosa“, 1982 in der DDR ungewöhnlich schon allein wegen der Auswahl der Texte von Czesław Miłosz, Wolfgang Borchert, Rudolf Hagelstange, Else Lasker-Schüler, Marie-Luise Kaschnitz, Nelly Sachs und Heinrich Böll für die Solisten und den Chor, ist musikalisch ein Schrei von apokalyptischer Dimension. Man denkt an aufwühlende Klagegesänge, etwa in einem Requiem, man vernimmt immer wieder visionäre Klänge, aber vor allem die Beunruhigung darüber, dass man sich selbst in relativer friedlicher Situation nicht in Sicherheit wähnen kann. Wenn Zimmermann versöhnliche Töne anschlägt, dann lenkt er nicht ab, sondern schafft so etwas wie Klänge, die Kraft vermitteln, das bedeutet ja auch der Titel „Klagender Friede“. Das Stück wird durchzogen vom Gebet des Heiligen Franz von Assisi, „Dona nobis pacem“. Welche Bedeutung dieses gesungene „dona nobis pacem“ bekommen sollte, hat der Komponist wohl schon sieben Jahre vor dem, was 1989 geschah, zum Aufklingen gebracht. Welche Bedeutung noch immer darin aufkling,t hat die Leipziger Premiere, die ja ohne aktuelle Bezüge gar nicht zu denken ist, nachvollziehbar gemacht.
Die Klage, das Erschrecken, die Visionen, nichts davon hat sich erledigt. Das Werk beginnt mit einem Bild. Der berühmte Schrei, die Lithografie von Edward Munch, dazu ein Streichersatz von großer Intensität, man muss hinhören, man muss hinsehen. Dann bald ein höchst expressives Solo, der Tänzer Oliver Preiß verlässt den neoklassischen Kanon, ein getanzter Schrei, auch das ist Uwe Scholz in seinem Nachdenken und Empfinden in Leipzig kurze Zeit nach den Ereignissen von 1989 und dem, was sich dann bis 1992 entwickelt hatte.
Zu Else Lasker-Schülers Gedicht „Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen“ ein Trio, zwei Tänzer, eine Tänzerin, Zärtlichkeit und Harmonie, eine getanzte Vision, die wird jäh zerbrochen durch eine brutale Gewaltszene eines anderen Tänzers, der die Frau vergewaltigt, die dann, wenn sie zerbrochen am Boden liegt, von einer anderen Frau aufgehoben und behutsam fortgetragen wird. Das Werk endet mit einem großen Klangbild, der Chor - bisher auf einer Brücke hoch über dem Tanz - fährt herunter, die gestürzten Tänzer stehen auf, mischen sich unter die Sänger, nichts ist erledigt, die Klage bleibt, „dona nobis pacem“.
Zuvor Mario Schröders choreografische Uraufführung, Musik von Bach, eine Komposition von Udo Zimmermann. Schröder nennt seine Arbeit „Blühende Landschaft“, da denkt man an das Zitat von Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, und seiner Vision von den blühenden Landschaften. Und es ist so, das Zitat, die Hoffnungen spielen eine Rolle, alles noch mal unterstützt auf der Bühne von Andreas Auerbach mit den Videosequenzen von Paul Zoller, der u.a. historisches Filmmaterial von Gerd Kroske von Leipzigs Straßen 1989 verwendet. Optisch hat man den Eindruck, dass der Boden unter den Füßen der Tänzer im November 2013 schwankt.
Schröder aber geht weiter zurück in die Geschichte Leipzigs, wo immer wieder Gebäude diesen Visionen unterschiedlicher Herrschaftsformen weichen mussten, 1968 die Sprengung der Universitätskirche, nach 1989 in den folgenden Jahren dann die Sprengung von Plattenbauten, jede Zeit hinterlässt ihre Wunden, ihre Narben, jede Zeit braucht Menschen, die den Schutt der Mächtigen beiseite räumen. Davon geht Mario Schröder aus und dazu nutzt er die historische Dimension der Musik von Bach und vor allem die zutiefst berührenden, nachdenklichen Klänge der „Lieder von einer Insel“, die Zimmermann 2009 geschrieben hat. Wiederum ein klagender Gesang, ohne Worte, aber an solchen von Heinrich Heine, Ingeborg Bachmann, Friedrich Hölderlin und Else Lasker-Schüler orientiert, meisterhafte Kammermusik mi einem sehr berührenden Solo für das Violoncello.
Die choreografische Sprache von Mario Schröder ist eine anderen als die von Uwe Scholz. Aber auch Schröder geht es um Berührungen angesichts der sowohl von ihm als auch von Scholz gewählten Themen und Musik. Schröder hat eine sehr persönliche Choreografie geschaffen. Er nimmt Zitate von Uwe Scholz auf, allgemein von dessen strengem, mitunter geometrischem, architektonischem Ansatz, auch direkte Zitate aus „Pax questuosa“ und setzt seine Tanzsprache, seine Bilder, nicht unbedingt dagegen, er fügt etwas zusammen. Bei Schröder geht es darum, auch gegenwärtige Assoziationen zu schaffen, von Menschen die stürzen, die abstürzen, die liegen bleiben, auf der Strecke bleiben und von anderen, die ihnen aufhelfen, da wiederum ist er recht nahe an Scholz, und dessen Schlüsselszene für Pax, die ich schon erwähnt hatte, genau so etwas im Tanz geschieht.
Aber Paare in der typischen Haltung eines exakten, neoklassischen Pas de deux, in stiller Harmonie, verlangsamt und sehr verinnerlicht, treten immer wieder auf. Sie bewegen sich auf Inseln aus Licht, hervorgehoben, nicht antastbar. Das sind Momente der Sehnsucht, das sind die Inseln, wie sie die Musik Zimmermanns besingt und wie sie durch die Musik von Johann Sebastian Bach als ein Kontinuum der Hoffnungen historische Grundierung bekommen.
Für das Leipziger Ballett und Mario Schröder läuft die dritte Saison. Es heißt ja, dass aller guten Dinge drei sind, Schröder hat die ersten Jahre genutzt, die Kompanie mit etlichen neuen Mitgliedern ist gut aufgestellt, sie ist in diesen unterschiedlichen Stilen präsent. Hier wird gut getanzt, die Tänzerinnen und Tänzer bringen Emotionen, vor allem Zeitgemäßheit des persönlichen Ausdrucks und unbedingte Strenge in den neoklassischen Passagen zusammen, so fällt der Abend letztlich, bei aller Unterschiedlichkeit, nicht in die Willkürlichkeit zweier Teile auseinander. Das Premierenpublikum hat Mario Schröders Kompanie, die Sänger, den Chor, das Gewandhausorchester unter Anthony Bramall gefeiert und besonders den von körperlichem Gebrechen stark gezeichneten Komponisten Udo Zimmermann, der Anfang Oktober dieses Jahres seinen 70. Geburtstag feierte.
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