Die nächste Generation kommt
Choreografie ist Beruf, Handwerk und Talent. Ein Blick auf Weiterbildungsangebote in der Schweiz
Hut ab und dreimal kräftig Bravo! Das Semperoper Ballett zeigt sich schon wieder von einer neuen Seite, begründet ein neues Format, dem man nach einem solchen Start nur wünschen kann, dass es sich etablieren möchte. Gerade konnte die Dresdner Kompanie ihre neueste Produktion „Coppélia“ in völlig neuer Besetzung präsentieren, den Nachwuchs ins helle Licht stellen, da heißt es: „Junge Choreografen“ stellen fünf Uraufführungen vor, ihr Ort heißt „Semper 2“, das ist die Probebühne im Funktionsgebäude, mit nicht ganz optimalen Sichtverhältnissen.
Ganz optimal hingegen ist das erste Programm der kurzen Kreationen, alle ohne Spitzenschuh oder Tutu. Am Ende der Eindruck eines Traumes, fünf Varianten sehr persönlicher Visionen junger Künstlerinnen und Künstler, denen es gegeben ist, durch Bewegung zu bewegen. Hiroko Asami hat zur Allemande aus der Suite Nr. VI für Violoncello solo D-Dur von Johann Sebastian Bach, BWV 1012, eine federleichte Zärtlichkeit in Weiß geschaffen. Wie in Trance tanzen Madoka Kariya und Yohei Yamada diese zerbrechlichen Miniaturen, bei denen leise Berührungen den eigenen Körper zum Schwingen bringen, flüchtige Gemeinsamkeiten entstehen und vergehen wie die zum Schluss aufgewirbelten weißen Federn, wenn sie wieder dem Boden zu schwingen. Dazu die sensiblen Töne des Cellisten Isang Enders.
Schnitt, Szenenwechsel, anderer Sound vom Band, ein anderes Bild, ein anderer Traum. „be….ing“ heißt die Choreografie von Duosi Zhu & Raquél Martinez. Ein Mensch und sein Schatten, der sich dann aber eigenständig fortbewegt, Abbild und Ebenbild. Elena Vostrotina und Christopher Hoyte in diesen knappen Varianten des Spiels mit dem Seitenwechsel. Scheinbar unberührt davon produziert Jón Vallejo große Seifenblasen um dann in hartem Stimmungswechsel dieser Traumvariante so massive wie kräftige Grundierung zu geben. Mag sein, dass allgemein zwei Seelen in eines Menschen Brust wohnen, bei Tänzern, so hier zu sehen, sind es mindestens drei. Dann hören wir es tropfen. Drei Frauen in langen Röcken, rot, weiß und schwarz. Ihre Orte sind Stationen einer Diagonale, ihre Bewegungen lösen einander ab, das Licht geht mit, sie kommen kurz zusammen, aber die Vereinzelung bleibt im Gedächtnis.
Anna Merkulova, die ihre Choreografie „Late… Lost… Living…“ mit Juliana Sabino und Claudine Schoch tanzt, bevorzugt weite Bewegungsradien, unverhofft sind die Wechsel der Stimmungen, Stillstand erst, wenn das Licht verlischt für immer. Eine Träumerei im roten Schaukelstuhl hat Michael Tucker für Hiroko Asami kreiert. Dazu wird hochromantische Musik von Sergej Rachmaninow eingespielt, „Adagio sostenuto“ aus dem zweiten Klavierkonzert. Der Träumer ist ein alter Mann mit sonderlich bewegten Händen, das hat Humor und auch ein wenig Unheimliches; vollends abgefahren wird die Szene, wenn sich der Mann in einen weiblichen, tanzenden Albtraum in grauem Tüll verwandelt, um am Ende sanft dahin zurück zu schaukeln, wo einmal alles ungebrochen war im Tanz.
Claudio Cangialosi arbeitet in seiner Choreografie „The power of thought“ mit harten Lichteffekten, denen der Sound seiner Musikcollage entspricht. Die Bühne ist geteilt, ein roter Streifen am Boden markiert Abgrenzung. Eine Autorität vermittelnde Frau in rotem Mantel beobachtet die Szene, in der sich eine Frau und vier Männer roboterhaft wie ruhelose Seelen in geordneter Unordnung bei ausgesprochen kraftvoller Eleganz bewegen. Veränderung erfährt das Geschehen durch eine weitere Tänzerin, welche die Begrenzung negiert, durch einen roten Streifen am Kostüm der Beobachterin und ihrer Einflussnahme zuzuordnen ist. Wer wen bewegt, was wen antreibt, Emotionen oder Aktionen, Kräfte von außen oder von innen, keine Antwort – starkes Gegenlicht setzt den blendenden Schlusspunkt.
Eine energiegeladene Arbeit, tänzerisch stark von Carmen Piqueras, Vanja Vitman, Maximilian Genov, Christopher Hoyte, Jeremy Nedd und Johannes Schmidt vor den gestrengen Augen von Duosi Zhu vorgetragen, setzt den Schlusspunkt dieses Abends, dessen Stärke das menschliche Maß ist, Unvollkommenheit eingeschlossen, ebenso wie die schutzlose Ehrlichkeit der Tänzerinnen und Tänzer. Mag sein, dass hier und da einige dekorative Elemente sich vordrängen, mancher Schnitt der Schärfung bedarf, was aber dem Erfolg dieses Abends in seiner Gesamtheit, wozu auch die freundliche und kommunikative Atmosphäre auf der Probebühne beiträgt, nichts anhaben kann. Fortsetzung erwünscht. Das Gespräch danach könnte man anbieten, Sekt oder Selters auch.
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