Die Monstershow der Emotionen

Die Nijinsky-Gala zum Abschluss der Ballett-Tage in Hamburg

Hamburg, 11/07/2011

Es war der John Neumeier höchstselbst, der die diesjährige Nijinsky-Gala als „Monstershow“ bezeichnete. Denn wie üblich war es wieder eine Mammut-Darbietung von fünfeinhalb Stunden, Höhepunkt der Ballett-Tage – und Emotion pur, wobei Weinen und Lachen sehr dicht beieinander lagen. Nicht nur, dass sich Joëlle Boulogne an diesem Abend mit dem weißen Pas de deux aus der „Kameliendame“ und dem ebenso zarten wie tiefgründigen Pas de deux zum 4. Satz aus Mahlers Siebter Sinfonie endgültig von der Bühne verabschiedete – nach einer Woche voller tränenreicher Abschieds-Abende mit „Illusionen – wie Schwanensee“, „Chopin Dances“, vor allem aber „Seven Haiku of the Moon“, wo sie sich wie keine andere darauf versteht, gemeinsam mit Thiago Bordin und Sascha Riabko eine atemberaubende Magie auf der Bühne entstehen zu lassen. Auch Yohan Stegli und Cathérine Dumont sagten der aktiven Bühnenkarriere adieu (was aber leider von John Neumeier bei der Gala nicht extra erwähnt oder gewürdigt wurde). Yohan Stegli zumindest wird der Ballettwelt erhalten bleiben und sein großes pädagogisches wie auch sein choreographisch-schöpferisches Talent beim Bundesjugendballett mit einbringen – mit Sicherheit ein Gewinn für den Nachwuchs, der von diesem großartigen Tänzer, der Können, Poesie, Phantasie und Witz kongenial in sich vereinigt, viel werden lernen können.

Der Abend war in erster Linie Chopin und Mahler gewidmet, die beide im Schaffen John Neumeiers einen besonderen Stellenwert haben. Los ging's mit drei Passagen aus „Des Knaben Wunderhorn“ (sehr einfühlsam gesungen von Christoph Pohl), gefolgt von einer noch von Alexandra Danilova arrangierten Kurzfassung von Fokines „Les Sylphides“, das die legendäre Irina Jacobson aufs Feinste mit Anna Polikarpova, Edvin Revazov und Anna Laudere einstudiert hatte. Hier war spürbar, wie sorgfältig an jeder Geste gefeilt worden war – bis in die Fingerspitzen war das durcharbeitet und vor allem von den beiden Ballerinen schwerelos grazil und elegisch getanzt. Dem stand auch Alina Cojocaru vom Royal Ballet London nicht nach, die mit dem Pas de deux aus dem 2. Akt von „Giselle“ zeigte, wie natürlich, selbstverständlich und zutiefst bescheiden dieser Part getanzt gehört. Sie wird in der nächsten Spielzeit in Hamburg als Gast sowohl als „Kameliendame“ zu sehen sein wie auch die Titelrolle in „Liliom“ übernehmen, der neuen Kreation von John Neumeier, die Anfang Dezember Premiere haben wird.

Einen reizvollen Kontrast zu dieser geballten Ladung Romantik bot dann „Take My Breath Away“ des jungen chinesischen Choreografen und Tänzers Li Jun. Es stand für das neue, kreative China und verschmolz westlichen Tanzstil mit 2000 Jahre alter traditioneller gezupfter Saiten-Musik bei asiatisch-reduzierter Bühne (ein von oben blau angeleuchteter weißer Streifen in der Mitte des ansonsten schwarzen Prospekts) – eines der am meisten bejubelten Stücke des Abends! Mittendrin dann der Knaller schlechthin: „The Concert“ von Jerome Robbins, dessen umwerfende Komik auch an diesem Abend seine Wirkung nicht verfehlte.

So richtig gewichtig wurde es dann im dritten und längsten Teil des Abends. Da zeigte Neumeier mit seinen Chopin-„Nocturnes“ Spiegelungen verschiedener Menschen in ihren Verbindungen – und man könnte meinen, es zeichneten sich in diesen 2005 entstandenen Kreationen Vorahnungen zu „Purgatorio“ ab, der jüngsten Neumeier-Premiere zu Mahlers 10. Sinfonie und neun Liedern von Alma Schindler-Mahler (siehe tanznetz.de vom 27.6.2011). Hélène Bouchet, Lloyd Riggins, Marina Zanotto, Alexandr Trusch, Anna Polikarpova und Ivan Urban zeichneten die verschiedenen Charakterstudien mit der ihnen eigenen Expressivität. Und die Gäste vom National Ballet of Canada (Heather Ogden und Guillaume Côté) zeigten, dass Neumeiers oft anspruchsvolle Bewegungssprache auch von anderen Kompanien verstanden wird – sie überzeugten mit spielerischer Frische und gleichermaßen intensiver Darstellung.

Es folgte der dritte Satz aus der 4. Sinfonie von Mahler – mit den höchst präsenten Carsten Jung und Kiran West neben Gast-Solisten vom National Ballet of China. Fraglos einer der Höhepunkte war jedoch der schwarze Pas de deux aus Neumeiers „Kameliendame“, in dem Yuan Yuan Tan vom San Francisco Ballet zusammen mit dem wunderbaren Thiago Bordin zeigte, dass man Dramatik tatsächlich aus dem Stand auf die Bühne zaubern kann. Gerade dieser Pas de deux verliert so leicht seine Magie, wenn er aus dem Zusammenhang des Gesamtwerks herausgerissen wird. Die Chinesin verstand es jedoch mühelos, vom ersten Moment an die ganze Expressivität und Tragik in diese Rolle zu legen. Den Klavierpart hatte hier – wie auch schon zum weißen Pas de deux und bei den „Nocturnes“ – Michal Bialk übernommen, der den Chopin so beseelt und im Einklang mit den Tänzern spielte wie man es in Hamburg bisher nur selten erlebt hat. Umso erfreulicher die Perspektive, dass er (im Wechsel mit Oliver Kern) den Klavierpart bei der Wiederaufnahme der „Kameliendame“ in der kommenden Spielzeit übernehmen wird – ein Glücksfall! Zum Abschluss dann nochmal Mahler: Der vierte Satz „Nachtwanderung“ aus der 7. Sinfonie, für Joëlle Boulogne und Lloyd Riggins kreiert und von den beiden auch getanzt, sowie der vierte und fünfte Satz aus Mahlers 5. Sinfonie – wobei alle Tänzerinnen und Tänzer in ihren jeweiligen Original-Kostümen des Abends auftraten. Simon Hewett dirigierte die Philharmoniker Hamburg mit der ihm eigenen Souveränität und großer Einfühlsamkeit. Großer Jubel und zum Schluss der obligatorische bunte Konfettiregen vom Schnürboden.

www.hamburgballett.de

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