Gefangen in der Zelle des eigenen Ichs

Tanztheater im Theater Rampe: „Die Zelle. Hitchcocks Traum(a)“ von Katja Erdmann-Rajski

Stuttgart, 29/05/2011

Nichts als die nackte Wand, auf der die Schatten tanzen. Albtraumhaft lässt Katja Erdmann-Rajski ihr neuestes Stück beginnen. Albtraumhaft endet es, ohne dem Publikum Klarheit zu verschaffen über das Geschaute. Immer wieder verzerren sich die Konturen eines unsichtbaren Körpers. Mal erinnern seine Schatten an die Schwingen eines Vogels, mal imaginieren sie das Thema Angst in schlängelnden Spuren, während zugleich der Soundtrack von Bernard Herrmann einen Sog erzeugt, dem man sich schwerlich entziehen kann. Der Schatten ist jedenfalls noch nicht zu fassen, und die Lichtspielszene lässt den Zuschauer lange im Dunkeln. Was wird hier verhandelt, und auf welche Weise sieht sich der Betrachter einbezogen in ein Geschehen, das sich seinem Verständnis entzieht? „Hitchcocks Traum(a)“ verortet die Stuttgarter Choreografin in einer „Zelle“, und wie in dem Hitchcock-Film „Die Vögel“ kommen die vier Protagonisten daraus nicht so einfach frei, auch wenn Adrian Groß seine Hemmschwellen ausschließlich als Lichtbalken setzt. „Gefangen in der Zelle des eigenen Ichs“, kommen Julia Brendle, Alexandra Brenk, Katja Erdmann-Rajski und Boris Nahalka aus ihrem imaginären Gehäuse nicht frei – und lange Zeit tritt der Tanz in den „WahlVerwandtschaften No. 5“ (so der Untertitel) deshalb auf der Stelle. Choreografiert werden vor allem Arme und Hände, und die besitzen genügend Ausdruckskraft.

Katja Erdmann-Rajski begründet ihr klaustrophobisches Konzept aus der Biografie Hitchcocks heraus. Den ließ als Kind der Vater eine Nacht lang in eine Gefängniszelle sperren, und diese Strafe traumatisierte ihn ein Leben lang. In vielen Filmen kehrt das Erlebnis in verwandelter Gestalt wieder – und in „Die Zelle. Hitchcocks Traum(a)“ thematisiert es die Choreografin so, dass sich auch das Publikum in die Ängste des Protagonisten einfühlen kann. Zumal dann, wenn Boris Nahalka auf Tuchfühlung geht und wie ein Schattenwesen gleichsam aus der Leinwand heraus mitten unter die Zuschauer tritt.

Da macht das Stück den Effekt, den sich Katja Erdmann-Rajski im späteren Verlauf leider etwas verschenkt. Das Ende jedenfalls kommt etwas plötzlich und ist längst nicht so pointiert, wie man sich das von einem guten Schluss – und einer Hitchcock-Hommage eigentlich erwartet. Doch die Musik (neben Herrmann und einem elektronischen Stück von Oskar Sala noch diverse Vivaldi-Arien und einige Kompositionen von György Ligeti) ist in sich stimmig. Schlüssig die überaus konzentrierte Choreografie, und so gut von allen getanzt, dass man sich von den „WahlVerwandtschaften“ nicht nur eine Wiederholung, sondern weitere Fortsetzungen wünscht.

www.erdmann-rajski.de
www.theaterrampe.de

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