Abschied von Patrick Dupond
Der ehemalige Solotänzer und langjährige Ballettdirektor der Pariser Oper ist verstorben
Er ist einer der wenigen Nichtfranzosen, die in der „Grande Maison“ Karriere gemacht haben – und was für eine Karriere! Ein erster Preis beim Prix de Lausanne öffnete dem gebürtigen Spanier José Martinez 1987 die Türen zur Ecole de Danse der Pariser Oper. Schnell erklomm der hochbegabte junge Tänzer die Stufen der Kompaniehierarchie bis zum Rang des Premier Danseur, musste dann aber fünf Jahre auf seine Nominierung zum Danseur Etoile warten. Nach einer Vorstellung von „La Sylphide“ war es 1997 schließlich soweit, und der Spanier im Schottenrock stieg in den Olymp des französischen Tanzes auf, wo er sich vierzehn Jahre lang glänzend behauptet hat. Seit einigen Jahren hat er zusätzlich zum tänzerischen auch ein choreografisches Talent in sich entdeckt.
Es ist unmöglich, alle Rollen aufzuzählen, in denen José Martinez sich dem Pariser Publikum unauslöschlich eingeprägt hat, doch sollen einige seiner Glanzrollen der letzten Jahre hier nicht unerwähnt bleiben. Neben den großen Klassikern, die er stets mit aristokratischer Allüre und fein ziselierter Technik tanzt (unvergesslich bleiben seine Manèges von Grands Jetés, in denen er das vordere Bein federleicht in die Höhe schnellen lässt), ist er auch in zahlreichen anderen Stilen zuhause: von Balanchine (in dessen „Diamonds“ er Maßstäbe der Eleganz und Präzision setzte) über Lifar („Suite en blanc“) und Lander („Etudes“) bis zu Neumeier, Kylián, Petit, Forsythe, Bausch („Orpheus und Eurydike“) und Ek (unter anderem in „Giselle“, wo er als feuriger Hilarion jedem noch so kecken Albrecht trotzig die Stirn bot).
Ganz besondere Erfolge feierte er auch in spanischen Rollen, in denen er seinem Temperament freien Lauf lassen konnte. So begeisterte er beispielsweise als pfiffiger Müller in Massines „Le Tricorne“, als charakterstarker Don José in Roland Petits „Carmen“, als überschwänglicher Basilio in Nurejews „Don Quichotte“ oder jüngst erstmals als strenge Bernarda in Mats Eks „Bernarda Albas Haus“. Die spanische Choreografin Blanca Li schuf außerdem eine „Scheherazade“ für ihn und Agnès Letestu, in der er das von Christian Lacroix entworfene Kostüm eines verführerischen orientalischen Prinzen anlegte.
Wie viele geborene Danseurs Nobles hat Martinez auch ein Faible für zwielichtige Gestalten: so beeindruckte er unter anderem als teuflischer Claude Frollo in Roland Petits “Notre-Dame de Paris”, der seine Glieder wie vergiftete Pfeile in die Lüfte schießen ließ, als Iwan der Schreckliche in Juri Grigorowitschs gleichnamigem Ballett, oder als faszinierender Coppelius in Patrice Barts „Coppelia“. Und schließlich füllt er auch humorvolle Rollen mit dem ihm eigenen ironischen Esprit, beispielsweise die des Amor mit roter Latzhose und Schildkappe in John Neumeiers „Sylvia“ und die des reizbaren Grand Magic Pat in Maurice Béjarts „Concours“.
Für seine letzte Vorstellung schlüpfte Martinez ein einziges Mal in das Pierrot-Kostüm, das seine langjährige Partnerin Agnès Letestu für den Baptiste in Martinez‘ bisher ambitioniertester Choreografie entworfen hatte. Es handelt sich um das abendfüllende Handlungsballett „Les Enfants du Paradis“ („Kinder des Olymp“) nach Marcel Carnés gleichnamigem Film, das im Jahr 2008 im Palais Garnier uraufgeführt wurde. Den schauspielerisch anspruchsvollen Balanceakt zwischen Bühnenrealität, Traum und Commedia dell’arte meisterte der Choreograf mit Geschick. Er verlieh seiner Figur, die in ihrer Doppelnatur an Fokines „Petruschka“ erinnert (wenn auch mit einer weniger typisierten, sehr reellen Seite) jene naive Tragik, mit der er bereits als Des Grieux in John Neumeiers „Kameliendame“ die Zuschauer berührt hatte. An seiner Seite gab Agnès Letestu eine königliche Garance, der ihre selbst erdachten Kostüme prächtig zu Gesicht standen. Es bedurfte nur weniger strahlender Augenaufschläge, bis ihr die gesamte männliche Besetzung vom tückischen Lacenaire (Vincent Chaillet) über den flatterhaften Frederick Lemaître (Florian Magnenet) bis zum verschmähten Comte de Montray (Yann Saïz, der mit seinem lebhaften Charme nicht recht in seine undankbare Rolle passen wollte) zu Füßen lag. Trotz zahlreicher Affären schlug ihr Herz allerdings nur für den schüchternen und gefühlvollen Baptiste-Martinez, mit dem sie nach langen Wirrungen einen „Kameliendame“-ähnlichen Pas de deux lang vereint wird, bevor die Umstände die beiden wieder auseinanderreißen. Die Harmonie des jahrelang aufeinander eingespielten Paares intensivierte dabei die Tragik der Trennung, und beide konnten beim langen Schlussapplaus kaum die Tränen zurückhalten. Das Corps de ballet ehrte Martinez durch zahlreiche Anspielungen auf sein Heimatland (spanische Fahnen auf den Wangen, Trainingskostüme und Luftballons in den Nationalfarben Rot und Gelb), und schließlich trat fast die ganze Kompanie mit allen Solisten zum Applaus auf die Bühne.
Es steht außer Zweifel, dass Martinez mit 42 Jahren tänzerisch noch viel zu sagen hat – und so kann man sich freuen, dass er bereits nächste Spielzeit wieder als Gast im Palais Garnier tanzen wird, unter anderem in Mats Eks „Apartment“, in dessen Fernsehszene er in Paris tatsächlich so gut wie unentbehrlich ist. Martinez kehrt nach dieser Spielzeit in die Heimat zurück, wo er als Nacho Duatos Nachfolger die Madrider Compañia Nacional de Danza übernehmen wird.
Besuchte Vorstellung: 15.07.11
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments