Die Liebe zum Ballett elektrisiert sie

Natalia Osipova probt in München für „Der Widerspenstigen Zähmung“ – und verrät das Geheimnis ihrer Kunst

München, 11/03/2011

„Ich weiß nicht wo Frau Osipova ist!“ – „Sie hat das Haus verlassen, um sich einen Kaffee zu holen. Aber gerade ist sie wieder gekommen. Sie ist hier.“ – „Gut. Wir sind oben. Sag ihr Bescheid. Findet sie es?“ Natalia Osipova, 24, wird besser behütet als der Hope Diamant. Die Primaballerina des Bolschoi Balletts ist derzeit die wohl gefragteste Tänzerin der Welt. Seit sie sich als Kitri, Giselle, Medora, Sylphide und Jeanne in „Flammes de Paris“ den Prix Benois ertanzt hat, stehen ihr praktisch an allen Theatern alle Rollen offen. Ihre Moskauer Auftritte werden sogar live in 300 Kinos weltweit übertragen.

Im März ist sie nun beim Bayerischen Staatsballett zu Gast. Zwei Mal tanzt sie die Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“, am 12. und 17. März – wobei sie genau zehn Tage hat, um die Rolle an der Seite von Lukas Slavicky einzustudieren. Isabel Winklbauer traf die Ausnahmekünstlerin nach einer hoch konzentrierten Probe zum Interview. „Moment mal, ist der Raum auch warm genug für Frau Osipova?“ – „Ja, ich denke, es ist in Ordnung.“

Frau Osipova, eigentlich sollten Sie im Februar in München die Aurora tanzen, doch Sie mussten wegen einer Verletzung absagen. Ist Katharina nun die zweite Wahl oder sind Sie glücklich über die Rolle?

Natalia Osipova: Die Katharina zu tanzen war ein großer Wunsch von mir. Am Bolschoi werden ja leider keine Cranko-Ballette gegeben, also kann ich sie nur hier in Deutschland tanzen. Katharina ist eine wundervolle Rolle, weil sie eine so unglaubliche Entwicklung durchmacht. Vom wilden, fast schon bösartigen Mädchen wird sie zum weiblichen, zarten Wesen. Nur durch die Kraft der Liebe. Das gefällt mir auch deshalb, weil es zu meinem Privatleben passt.

Haben Sie etwa auch Ihren Petrucchio gefunden?

Natalia Osipova: Ja. Noch vor fünf Jahren war ich selbst ziemlich wild. Fast wie ein Junge. Aber dann habe ich mich verliebt. Seitdem habe ich eine große, innere Entwicklung durchgemacht. Ich bin selbst weiblicher geworden.

Berühmt wurden Sie mit Ihrer blitzschnellen, sprunggewaltigen Kitri. Sie haben die Rolle jetzt so oft getanzt – können Sie sie eigentlich noch ertragen?

Natalia Osipova: Oh ja, ich habe sie wirklich oft getanzt! Von 2006 an habe ich bestimmt jedes Jahr zehn „Don Q“-Vorstellungen gegeben. Anfangs hat mich natürlich die große Resonanz des Publikums gefreut. Aber irgendwann wurde es unerträglich. Mir wurde schlecht, wenn ich nur die Musik hörte. Also habe ich zwei Jahre Pause eingelegt und in dieser Zeit ein vielfältiges Repertoire erarbeitet. Jetzt, mit der breiteren Erfahrung, macht mir auch Kitri wieder Spaß.

Die Rolle ist eben ideal, um Ihre Qualitäten zur Geltung zu bringen: Mitreißende Lebhaftigkeit und eine sensationelle, klassische Technik. Woher kommt diese elektrisierende Ausstrahlung, die alle so in den Bann zieht?

Natalia Osipova: Im Privatleben bin ich eigentlich ganz normal. Mal fröhlich, mal traurig, oft ruhig. Aber auf der Bühne ist es anders. Da werde ich plötzlich ganz wach! Ich weiß nicht, woher das kommt, irgendwo aus meinem Inneren. Vielleicht ist meine große Liebe zum Ballett die Ursache. Wenn der Vorhang aufgeht, bin ich so glücklich, auf der Bühne stehen und tanzen zu dürfen, dass ich alle daran teilhaben lassen will. Dann ist es mir plötzlich auch egal, ob ein Schritt daneben geht. Nur noch der Energiefluss zwischen mir und dem Publikum zählt.

Dabei haben Sie relativ spät mit dem Ballett angefangen. Sie waren bis zum 10. Lebensjahr Rhythmische Sportgymnastin.

Natalia Osipova: Ja, dass ich zum Ballett kam, war Zufall. Ich hatte fünf Jahre Sportgymnastik hinter mir, als ich eine Rückenverletzung erlitt. Diese machte nach Meinung meiner damaligen Trainer eine Turnerlaufbahn unmöglich. Also brachten meine Eltern mich zum Ballett.

War der Wechsel schwer für Sie?

Natalia Osipova: Für ein Kind, das zuvor Leistungssport gemacht hat, ist so etwas schrecklich. Ich habe den Ballettunterricht gehasst. Mir war langweilig, weil mir alles viel zu leicht war. Jedes Jahr habe ich meine Eltern gebeten, mich von der Akademie zu nehmen, manchmal auch geweint. Andererseits wollte ich meine Eltern auch nicht unglücklich machen. Sie haben sich so sehr gewünscht, dass ich Ballerina werde. Also habe ich durchgehalten und mir immer wieder gesagt: Mach weiter, mal sehen, was kommt.

Wann kam die Erleuchtung?

Natalia Osipova: Spät, erst mit 15. Die Ballettschule gab eine Matinee im Bolschoi-Theater. Ich tanzte darin ein Solo, einen russischen Tanz mit traditionellen Kopfputz. In dem Moment habe ich mich total ins Ballett verliebt. Die Bühne und die Zuschauer waren etwas völlig anderes als das langweilige Training! Ich begriff in dem Moment, was Tanzen bedeutet.

Sie haben beim Bolschoi von Anfang an Solorollen getanzt. Obwohl Sie seit 2005 internationale Erfolge feierten, Preise gewannen, 2007 den Benois de la Danse erhielten, wurden Sie aber nur schleppend befördert. Principal wurden Sie erst 2010.

Natalia Osipova: Es gibt im Bolschoi-Ballett nun mal eine feste Hierarchie, die jeder einhält. Man entlässt dort nicht ältere, erfahrenere Solistinnen, weil eine jüngere erfolgreich ist. Um Principal zu werden, braucht es mindestens fünf Jahre, und das gilt auch für mich. Zum Glück. Denn wäre ich früher befördert worden, wäre das nur eine Provokation für meine Kollegen gewesen. Ich fühle mich durch diese strenge Hierarchie eher geschützt.

Welche Ballerina ist Ihr Vorbild?

Natalia Osipova: Komisch, aber mein großes Idol ist Rudolf Nurejew. Und Alessandra Ferri, weil sie eine großartige Schauspielerin ist. Ich habe mit ihr auch schon zusammen gearbeitet, am ABT.

Fühlen Sie sich manchmal als Charakterdarstellerin unterschätzt? Der Ruhm Ihrer Technik eilt Ihnen ja wie Donnerhall voraus.

Natalia Osipova: Nein, meine Fans kennen und schätzen zum Glück meine lyrischen Rollen. Vor allem in den USA sieht man mich gerne als Giselle oder Julia. Das Bild der technisch brillanten Osipova entsteht, wenn man sich nur auf Youtube verlässt. Dort sind ja nur die anspruchsvollsten Passagen versammelt. In der Realität gehe ich aber seit zwei Jahren einen ganz anderen Weg. Ich bin kein Freund von zu viel Akrobatik, arbeite stattdessen lieber an Aurora, Sylphide und La Bayadere, also tollen Charakterrollen. Und jetzt freue ich mich auf Katharina.

 

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