Kunst der Verzauberung
Die Jubiläumsausgabe von Think Big!, dem Festival für junges Publikum in München, lädt zum Träumen ein und hält den Spiegel vor
Im Februar dieses Jahres wurde Eric Gauthier, Kompaniechef von Gauthier Dance, mit dem Deutschen Tanzpreis „Zukunft“ für Choreografie ausgezeichnet. Die Trophäe wird nicht regelmäßig, sondern nur in besonderen Fällen vergeben, zuletzt 2007. Warum ihn der ehemalige Stuttgarter Balletttänzer jetzt ergatterte, sahen die Münchner bei einem Gastspiel in der Schauburg: Acht Gauthier-Choreografien unterhielten prächtig und fanden beim Insiderpublikum Beachtung.
Fantasievoll und zugänglich – so macht Eric Gauthier das Ballett. Seine tänzerisch inszenierten Alltagssituationen packen mal direkt das Bauchgefühl, wie in „Showtime“, wo der lampenfiebernde Herzschlag der Tanzpartner die Aufmerksamkeit für den folgenden Pas de deux raffiniert erhöht. Dann wieder drängt der Hintersinn umso stärker an die Oberfläche, wie in „Ballet 101“, wo nach Nummern zugerufene Ballettpositionen einen Tänzer so außer Fassung bringen, dass er explodiert. Ballett ist eben viel mehr als Struktur und Technik, das dürfte hier sogar für jene auf der Hand liegen, die beim Anblick von Spitzenschuhen Ausschlag bekommen. Manches wird durch die große Publikumsnähe auch unauthentisch. Der spanische Tanz in „Air Guitar“ sieht zum Beispiel mehr nach Sunset Boulevard als nach Sevilla aus, der Hiphop in „Bang!“ ist nicht mehr als ein Zitat. Doch auf Technikvielfalt kommt es auch nicht an. Man ist hier beim Ballett, und das ist sowieso das höchste Niveau (welches in Jugendtheatern wie der Schauburg zu sehen zudem eine sehr, sehr seltene Gelegenheit ist).
Gauthier kann aber nicht nur witzig. Das ist sein großes Potenzial. Seine Stücke werden immer dann besonders faszinierend, wenn sie abgründig werden. Wie „Dear John“, in dem der 70-jährige Egon Madsen den großen John Cranko in typischer Zigaretten-Sitzposition verkörpert. Man sieht Madsen/Cranko von hinten, wie er seinem blutjungen Alter Ego (Gauthier) eine komische Rolle beibringt. Oder wie im preisgekrönten „Orchestra of Wolves“, in dem die Mechanismen einer Intrige parodiert werden, das sich im Grunde aber um echte, menschliche Wölfe dreht, wie man sie in Firmen, in der Politik oder im Kulturbetrieb sich zusammenrotten sieht. Das Lachen bleibt einem sanft im Hals stecken.
Keine Frage, man will mehr von Gauthier sehen. Vor allem Ernstes. Denn der erst 31-jährige Kanadier ist eine echte Chance für die Wiedergeburt des abendfüllenden Handlungsballetts.
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