Ein Stern mit vielen Facetten
Interview mit Mathieu Ganio
Aurélie Dupont ist eine französische Startänzerin. Seit ihrer Ernennung zur Danseuse Étoile der Pariser Oper im Jahr 1998 hat sie alle großen Bühnen der Welt erobert, von Japan bis Amerika. Ihr Repertoire ist sehr breitgefächert. In diesem Interview spricht sie unter anderem von zwei ihrer Lieblingsballette, „Onegin“ und „Kameliendame“, von ihrer lebensverändernden Begegnung mit Pina Bausch und von ihrer Leidenschaft für Schmuck.
Wie gehen Sie an eine Rolle wie die der Tatjana heran?
Aurélie Dupont: Zuerst einmal lese ich die Geschichte, lange bevor ich tanze. Dann zerlege ich die Figur in kleine Teile, je nach Ballett. In „Onegin“ habe ich mir beispielsweise gesagt: am Anfang hat Tatjana dieses Alter, diesen Charakter, diese Art zu lieben und am Ende hört sie so auf. Und ich versuche, einen Weg zwischen den beiden Punkten zu finden, der so ausgeglichen wie möglich ist. Die Elemente dafür finde ich in mir selbst. Für mich ist Tatjana beispielsweise am Anfang sehr jung und naiv, sie hat kaum Erfahrung mit der Liebe, sie ist sich nicht bewusst, schön oder nicht schön zu sein… Ich stelle mir also viele Fragen, versuche, sie so gut wie möglich zu beantworten, und danach gelingt es mir, meine Figur zu konstruieren. Ich gehe dabei vor, als handele es sich um das Drehbuch eines Films, in dem es eine Szene gibt, bevor sie sich verliebt, eine Szene, in der sie sich verliebt und die Szene am Ende, wo sie sich ihrem Schmerz überlässt. In meinem Kopf ist das alles sehr genau und präzise eingeteilt.
Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen dem Stil, den Ballette wie „Onegin“, „Manon“ oder „Kameliendame“ repräsentieren und anderen großen Handlungsballetten des 20. Jahrhunderts? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie diese Rollen tanzen? Warum berühren diese Ballette die Gefühle der Zuschauer?
Aurélie Dupont: Weil es Tragödien sind. Tragödien tanze ich am liebsten, weil in ihnen die Interpretation des Charakters so wichtig ist. Die Themen sind sehr aktuell: jeden Tag gibt es Brüche zwischen Menschen und Trennungen. Wie alle Leute habe auch ich solche Trennungen erlebt – das ist etwas, was im Leben immer und überall passiert.
Außerdem liebe ich die Entwicklung der Charaktere in jedem dieser Ballette. Man fühlt wirklich, wie die Zeit vergeht, wie die Figuren reifen. Deswegen werde ich nie müde, diese Rollen zu interpretieren. Jedes Mal lebe ich die Geschichte vollkommen, und es ist nie ganz dieselbe. Das hängt auch mit den Partnern zusammen, die alle anders spielen, einen unterschiedlichen Charakter haben. Ich bin eine sehr instinktive Tänzerin und reagiere gerne auf das, was ein Partner mir anbietet.
Da wir gerade von Tragödien sprechen: Haben Sie dasselbe Gefühl, die Geschichte zu leben und sich im Laufe des Balletts zu entwickeln, wenn Sie „Carmen“ von Roland Petit tanzen?
Aurélie Dupont: „Carmen“ ist ein sehr hübsches Ballett. Es ist kurz und technisch sehr schwierig. Körperlich ist es viel schwerer als beispielsweise „Onegin“, weil es wirklich sehr kompakt ist. Weil alles sehr schnell geht, ist die Entwicklung schwierig, weil man kaum Zeit hat, eines folgt unmittelbar aufs andere. Man ist die ganze Zeit körperlich erschöpft, was in „Onegin“ oder „Kameliendame“ nicht der Fall ist. In „Carmen“ mag ich am liebsten den Schluss-Pas de deux, in dem Carmen stirbt. Auf jeden Fall gibt es bei Roland Petit keine Freiheit. In „Onegin“ gibt es auch eine Struktur, alles ist festgeschrieben, die Leute, die das Ballett einstudieren, sind sehr streng, was die Schritte angeht. Sie waren extrem genau mit den Details, man war ziemlich eingeschränkt, man durfte nicht einmal den Winkel einer Hand ändern… Aber trotzdem ist die Interpretation sehr frei, das Spiel kann sehr individuell sein. Ich finde das wirklich angenehm, zumal in Roland Petits „Carmen“ alles nach der Stoppuhr läuft.
Manon, Marguerite, Tatjana… haben Sie eine Lieblingsrolle unter diesen Figuren? Wie unterscheiden sie sich?
Aurélie Dupont: Als erstes habe ich Manon getanzt. Ich war damals sehr jung und hatte noch nicht viel Erfahrung in meinem Beruf. Die Rolle hat mir sehr gefallen und ich freue mich sehr, das Ballett dieses Jahr wieder zu tanzen, weil ich sicher bin, dass es ganz anders sein wird und dass ich die Figur besser darstellen werde. Ich finde, wenn man älter ist, kann man leicht ein junges Mädchen und eine Frau in meinem Alter spielen. Aber wenn man jünger ist, ist es sehr schwierig, eine reifere Frau zu spielen. Als ich jünger war, hatte ich ein sehr kindliches Gesicht. Wenn man Manon als junge Frau mit 20 Jahren tanzt, heißt das nicht, dass man unbedingt richtig spielt, nur weil man jung ist. Wenn man älter ist, gelingt die Interpretation meistens besser und das Spiel ist ausgeglichener.
Wenn ich wählen müsste, würde ich wohl sagen, mein Lieblingsballett sei „Kameliendame“. Es ist einfach vollkommen. Ich mag dieses Ballett, weil ich die Epoche liebe und die Musik – die Musik ist sehr wichtig für mich und ich glaube, ich mag Chopin wirklich am liebsten. In der „Kameliendame“ reißt mich einfach die ganze Musik vollkommen mit. Außerdem findet in den Pas de deux eine wunderbare Entwicklung statt, es gibt mehrere Erzählstränge… Mein Herz schlägt wirklich für die „Kameliendame“. In „Onegin“ trägt das Ballett den Namen Eugen Onegins, nicht den Tatjanas.
Als ich zum ersten Mal „Onegin“ getanzt habe, hatte ich den Eindruck, nicht genau der Idee der Tatjana zu entsprechen, die die Leute, die das Ballett einstudiert haben, im Kopf hatten. Und als ich es vor kurzem wieder getanzt habe, fanden sie, ich hätte enorme Fortschritte gemacht und es wäre viel besser als beim ersten Mal.
Manchmal verwirrt es mich etwas, dass Onegin am Anfang so kalt, hochnäsig und vielleicht ein wenig eingebildet ist, denn es fällt mir schwer zu glauben, dass ein junges Mädchen sich in einen derart unangenehmen Mann verlieben kann.
Vielleicht sieht sie ihn wirklich als den Helden ihrer Bücher und erkennt seine wahre Persönlichkeit nicht?
Aurélie Dupont: Ja, sie ist vollkommen naiv und sieht diese Fehler nicht. Aber trotzdem. Ich habe mir immer gesagt: Nie im Leben könnte ich mich in so einen Mann verlieben. Aber ich mag dieses Ballett sehr und wenn ich einmal aufhöre, an der Pariser Oper zu tanzen, würde ich meine Abschiedsvorstellung gerne entweder in „Kameliendame“ oder „Onegin“ geben.
Welche Bedeutung hat für Sie Ihr Partner in diesen Balletten?
Aurélie Dupont: Der Partner ist sehr wichtig. Ich habe „Kameliendame“ oft mit Manuel Legris getanzt und als er die Oper verlassen hat, hatte ich keinen Partner mehr. Solche Ballette kann ich nicht mit jedem tanzen. Natürlich tue ich jedes Mal nur so, als würde ich mich verlieben, aber während der Vorstellung glaube ich wirklich daran. Und mit manchen Partnern ist das unmöglich. In diesen Fällen tanze ich lieber gar nicht. Diese Stücke sind so schwierig, und sie können so gut sein, wenn sie gelingen, dass ich keine Kompromisse machen kann. In Klassikern wie „Dornröschen“ oder „La Bayadère“ ist es nicht ganz so wichtig, aber die Tragödien kann ich nicht mit einem Partner tanzen, der mir nicht zusagt.
Ich habe Sie vor kurzem in „La Bayadère“ gesehen und Sie waren hervorragend. Was interessiert Sie an diesen sehr technischen Rollen, die Sie bereits oft getanzt haben? Gefällt es Ihnen immer noch genauso, diese zu tanzen?
Aurélie Dupont: Ich gebe zu: je mehr ich das Glück habe, Tragödien zu tanzen, desto schwerer fällt es mir, Ballette wie „La Bayadère“ oder „Dornröschen“ zu tanzen, weil es Ballette sind, mit denen ich mich weniger identifiziere. Ich tanze sie gerne, aber künstlerisch habe ich keine wirkliche Leidenschaft für diese Ballette. Ich finde sie schön, und da sie sehr schwer sind, lassen sie mich an meiner Technik arbeiten. Ich tanze sie, so gut ich kann, aber im Inneren meines Herzens schalte ich sofort ab, sobald ich wieder in meiner Loge bin. Nach „Onegin“ oder „Kameliendame“ hingegen bleibe ich lange in meiner Loge, es fällt mir schwer, nach Hause zu gehen und wieder in mein normales Leben hineinzufinden. Ich brauche wirklich Leidenschaft und muss Risiken eingehen. In „La Bayadere“ gehe ich nur technisch Risiken ein, künstlerisch nicht.
Sind Sie inzwischen so sicher in Ihrer Technik, dass Sie keine Angst mehr haben? Sie scheinen sehr souverän in „La Bayadère“…
Aurélie Dupont: Oh nein, ich habe immer Angst. Ich hatte schon immer Angst. Aber inzwischen amüsiere ich mich auch. Ich habe eine Spielernatur, ich spiele gerne Karten, Poker… Die Technik ist tatsächlich ein bisschen wie eine Pokerpartie: entweder es klappt oder es klappt nicht. Und schließlich vergesse ich auch nicht, dass es im Endeffekt nur Tanz ist, nichts daran ist wirklich ernst oder wird die Welt verändern. Meine Technik ist in Ordnung, weil ich viel arbeite, aber es kommt schon vor, dass ich Angst vor der Technik in „La Bayadère“ habe.
Und „Giselle“? Man hat mir immer gesagt, dieses Ballett sei nicht wie andere klassische Ballette, man könne es immer wieder tanzen, weil es jedes Mal verschieden ist…
Aurélie Dupont: Ich schäme mich ein bisschen, aber ich persönlich liebe „Giselle“ nicht so sehr. Vielleicht weil ich es nicht gut genug tanze. Wenn ich es einmal wirklich gut tanze, werde ich „Giselle“ vielleicht lieben. Aber dieses Ballett hat mich nie vollkommen begeistert. Ich bin ein sehr logischer Mensch und im ersten Akt von „Giselle“ gibt es etwas, was nicht logisch ist und deswegen fällt es mir schwer, es zu spielen. Es handelt sich um Folgendes: Giselle ist eine junge Frau, die ein schwaches Herz hat, die sehr gerne tanzt und unglaublich lebensfroh ist. Den ganzen ersten Akt über tanzt Giselle ununterbrochen, sie verlässt die Bühne fast nie, sie schwitzt, sie rennt… Ich bin nach dem ersten Akt immer vollkommen erschöpft. Wie also kann man glauben, dass diese Giselle ein schwaches Herz hat, obwohl sie so lange getanzt hat? Da „Giselle“ ein so bedeutendes Ballett ist, wäre ich froh, wenn mir das jemand erklären könnte. Ich finde, es ist ein hübsches Ballett, ich sehe es gern, wenn andere es tanzen – ich denke, es gibt vielleicht Dinge, die ich in „Giselle“ noch nicht gefunden habe, und deswegen denke ich so. Wenn ich ein Ballett liebe, habe ich normalerweise alles ausprobiert, an allem immer wieder gearbeitet, ich war in manchen Momenten schlecht, in anderen gut. Aber vielleicht tanze ich „Giselle“ nicht gut genug, um das Ballett wirklich zu verstehen.
Welche Eigenschaften muss ihrer Ansicht nach ein Danseur Étoile haben?
Aurélie Dupont: Ein Danseur Étoile muss ein sehr guter Tänzer und ein sehr guter Partner sein. Doch noch wichtiger als die Technik ist vor allem, dass er ein Künstler ist. Mich berühren am meisten die Tänzer, die Gefühle vermitteln können. Wenn ich Tänzer sehe, die 15 Pirouetten drehen und wundervoll springen können, aber ohne Gefühl tanzen, interessiert mich das nicht im Geringsten. Das bringt mich eher zum Lachen.
Leider entwickelt sich der Tanz heute etwas in Richtung Zirkus, wie der Eiskunstlauf. Das Publikum kann leicht erkennen, dass jemand 4 Pirouetten springt und 10 Pirouetten auf dem Eis dreht, und deswegen gibt es dafür viel Applaus. Aber es ist eine ganz andere Arbeit, die Zuschauer zu berühren. Das verlangt mehr Subtilität.
Es gibt zwei Arten von Tänzern. Die, denen es nur darum geht, Pirouetten und Tours en l’air zu drehen, können eben nichts anderes. Sonst ändert man sich irgendwann. Als ich jünger war, war ich genauso, ich hatte eine sehr starke Technik, um unangreifbar zu sein, aber irgendwann hat mich das gelangweilt und ich habe mich geändert. Andere Tänzer verbringen ihr Leben damit, Geschichten zu erzählen und die Zuschauer zu berühren.
Für mich ist ein sehr guter Tänzer also erst einmal ein sehr guter Schauspieler, ein Künstler, jemand, der Instinkt hat. Instinkt ist etwas sehr Natürliches, wie bei Kindern, man kann es nicht erklären. Ich finde, das ist eine sehr schöne Eigenschaft. Und schließlich muss er respektvoll sein, er muss seine Partnerin respektieren, seine Garderobiere, den Dirigenten, alles was ihn umgibt.
Was hat Ihnen außer den bereits erwähnten Balletten besonders gefallen in Ihrer Karriere, was hat Sie geprägt?
Aurélie Dupont: Das waren vor allem manche Begegnungen. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie Trisha Brown in New York ein Stück für Nicolas Le Riche, Manuel Legris und mich geschaffen hat. Wir haben dabei viel gelacht und sehr hart gearbeitet, und hinterher sind wir viel mit dem Stück herumgereist. Trisha ist eine wunderbare Frau. Wir haben während der Arbeit an diesem Stück sehr viel Zeit zusammen verbracht, und es ist eine meiner besten Erinnerungen.
Und dann war da die Begegnung mit Pina Bausch, die mich vollkommen verwandelt hat. Sie hat mein ganzes Leben verändert, meine ganze Karriere, sie hat alles für mich verändert.
Inwiefern?
Aurélie Dupont: Ich bin im Grunde sehr schüchtern, sehr reserviert, sehr sensibel. Diese Sensibilität habe ich immer versteckt, weil es hier sehr schwierig ist zu zeigen, dass man sensibel oder zerbrechlich ist. Das kann gefährlich sein, da man sich schwach fühlt. Ich wollte, dass man mich für eine starke Person hält, und deswegen hatte ich eine starke Technik. Ich hatte immer das Etikett, sehr stark zu sein, weil niemand ahnt, dass eine Person, die vier Pirouetten dreht, schwach sein kann. Man glaubt automatisch, sie sei stark. Das dachte man auch von mir und das kam mir sehr gelegen. Aber irgendwann hatte ich genug davon, dieses Spiel zu spielen, weil ich nicht ich selbst sein konnte. Ich sagte mir: ‚Wie komme ich da heraus? Im Augenblick tanze ich nur technisch anspruchsvolle Stücke, und eigentlich will ich Tragödien tanzen, ich will Figuren verkörpern, die weinen, lieben, leiden. Ich sah also, dass ich den falschen Weg eingeschlagen hatte.
Und dann kam Pina. Ich hatte ihr Ballett „Sacre du Printemps“ mit 15 oder 16 Jahren gesehen, und als ich erfahren habe, dass sie an die Pariser Oper kommen würde, wollte ich sofort für sie vortanzen. Das Vortanzen war sehr lang, aber ich wurde schließlich engagiert, die Premiere zu tanzen. Es war das erste Mal, dass „Sacre du Printemps“ an der Oper getanzt wurde, und wir haben drei Monate lang zusammen gearbeitet. Dieses Ballett ist sehr hart, die Technik ist ziemlich brutal, und ich habe mir körperlich sehr weh getan. Eines Tages sagte Pina zu mir: ‚Warum machst Du das? Das interessiert mich eigentlich überhaupt nicht. Was ich an Dir sehen will ist Deine Schwäche, und Du zeigst mir Deine Stärke. Deine Stärke interessiert mich nicht, zeige mir Deine Schwäche, denn genau dafür habe ich Dich ausgewählt.’ Das war ein ziemlicher Schock für mich, weil ich mir sagte: ‚Sie ist sehr stark und sie hat das in mir gesehen. Wenn ich das Spiel mitspiele, werde ich die Möglichkeit haben, mich zu öffnen und meine wahre Persönlichkeit zu enthüllen.’ Sie hat mir gesagt: ‚Das Schöne an einem Künstler ist seine Schwäche und nicht seine Stärke.’ Daraufhin habe ich viel nachgedacht und habe mir gesagt, wenn ich es nicht jetzt dank ihr versuche, dann schaffe ich es niemals, und so habe ich es einfach gemacht. Und das hat mich vollkommen verändert, von einem Tag auf den anderen. Ich habe einen völlig anderen Weg eingeschlagen, und das habe ich wirklich ihr zu verdanken. Es war unglaublich.
Ist es wichtig für Sie, Uraufführungen zu tanzen?
Aurélie Dupont: Ja, denn ich finde es interessant, Choreografen zu begegnen. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal mit Wayne MacGregor gearbeitet, der wunderbar ist. Ich habe sehr gerne mit Sasha Waltz zusammengearbeitet. Sie hat viel Talent und wir sind inzwischen eng befreundet. Solche Begegnungen liebe ich sehr, ob es nun mit Choreografen ist oder mit anderen Tänzern. Zuweilen passiert es, dass Choreografen kommen, die ein etwas seltsames Bild von der Pariser Oper haben, die vielleicht kommen, um eine gute Visitenkarte zu haben, und die einen manchmal menschlich etwas enttäuschen, aber das ist nicht schlimm. Ich bin trotzdem sehr interessanten Leuten begegnet.
Ich liebe es, mit John Neumeier zu arbeiten, weil er sehr großzügig ist und alles gibt. Er ist ein Geschichtenerzähler, der nicht davor zurückschreckt, einem seine Ballette immer und immer wieder zu erzählen. Mit Roland Petit hingegen hatte ich eine ziemlich konfliktreiche Beziehung. Er war ein sehr schwieriger Mensch, und da ich trotz allem einen ziemlich starken Charakter habe, gab es manchmal Zusammenstöße. Aber all das ist Teil meiner Karriere und ich bedauere es keineswegs. Auf jeden Fall gehöre ich nicht zu den Leuten, die nichts sagen. Wenn zwischenmenschlich etwas nicht funktioniert, sage ich, was mir nicht passt.
Ich habe die exzellente Dokumentation von Cédric Klapisch über Sie gesehen. Ist es Ihnen wichtig, etwas zu haben, was von Ihrer flüchtigen Kunst übrig bleibt – Videos, eine Dokumentation, Bücher…?
Aurélie Dupont: Anfangs habe ich mich gefragt: Wozu so ein Film? Nicht, dass ich keine Lust gehabt hätte, aber ich dachte mir: vielleicht bin ich etwas zu jung, um so etwas zu machen… Aber andererseits war es Cédric Klapisch und er hat so viel Talent, dass es mir sehr schwer gefallen wäre, nein zu sagen. Und jetzt wo die DVD herausgekommen ist, bin ich sehr zufrieden, denn als ich den Film wieder gesehen habe, fand ich ihn sehr schön. Ich habe mich wirklich darin wiedererkannt. Manche Bilder sind wunderbar, es gibt Momente, die wie im Kino gefilmt sind. Da ich zwei Kinder habe – ich habe seither noch ein zweites bekommen –, ist der Film für mich eine tolle Erinnerung. Ich bin sehr stolz, dass er in der Familie bleibt und dass meine Kinder ihn eines Tages sehen können, weil mir bewusst wird, dass die Karriere einer Tänzerin sehr kurz ist. Außerdem war die Begegnung mit Cédric Klapisch einfach unglaublich. Er ist sehr nett, sehr bescheiden und sehr begabt. Heute bin ich sehr froh, diese Dokumentation gemacht zu haben.
Hat die Tatsache, dass Sie jetzt Kinder haben, etwas an Ihrem Tanz oder an Ihrer Wahrnehmung des Tanzes verändert?
Aurélie Dupont: Nein. Sehr viele Leute haben mir gesagt: ‚Du wirst sehen, wenn Du Kinder hast, wird sich Dein Leben verändern‘ – mein Leben hat sich aber gar nicht so sehr verändert. Ich selbst habe mich verändert, weil ich älter geworden habe, Kinder bekommen habe, ich habe mich entwickelt, aber meine Art zu tanzen ist die gleiche. Das Alter und die Reife sorgen also dafür, dass ich heute auf eine bestimmte Weise tanze, aber ich glaube nicht, dass es wegen meiner Kinder ist.
Sie haben lange ausgesetzt wegen einer Verletzung. Hat Sie das verändert?
Aurélie Dupont: Ich habe eigentlich immer verletzt getanzt. Ich weiß gar nicht, wie es ist, wenn man ohne Schmerzen tanzt. Ich habe anderthalb Jahre ausgesetzt. Mit 25 wurde ich zur Danseuse Etoile ernannt, mit 25 ½ Jahren wurde ich am Knie operiert. Danach sagte man mir, ich würde nie wieder tanzen. Ich habe trotzdem wieder angefangen, und man sagte mir, ich würde noch sechs Monate tanzen. Inzwischen tanze ich schon seit Jahren wieder, aber obwohl ich die ganze Zeit Schmerzen habe, schaffe ich es trotzdem zu tanzen. Und ich denke, ich werde bis zum Ende durchhalten. Ich bin ein Rätsel für die Chirurgen, die nicht verstehen, wie ich das mache. Aber weil ich schon immer mit Schmerzen tanze, weiß ich nicht, wo der Unterschied liegt.
Was sind die Schwierigkeiten und Vorzüge Ihres Berufs?
Aurélie Dupont: Die größte Schwierigkeit liegt darin, seinen Körper zu opfern. Ich finde das sehr hart, weil ich, wenn ich mit dem Tanzen aufhöre, nichts mehr haben werde. Es wird nichts übrig bleiben außer Erinnerungen und Schmerzen. Man spricht nicht sehr oft darüber, aber das ist alles, was mir bleiben wird, abgesehen von hübschen Photos und Videos. Ich werde eine Knieprothese haben, ich werde bestimmt Hüftprothesen haben, der Rücken wird mir weh tun und die Füße, da sie durchs Tanzen verformt werden. Oft bleibt beim Tanz der Körper auf der Strecke. Ich finde das schwierig, weil man noch jung ist, wenn man zu tanzen aufhört. 42 Jahre ist nicht alt, aber körperlich werde ich glaube ich sehr viele Probleme haben. Ich bin nicht die Einzige, wir sind alle in dieser Situation, aber ich finde, es ist schwierig, seinen Körper zu opfern.
Würden Sie noch mal das Gleiche tun?
Aurélie Dupont: Ja, natürlich.
Und die Vorzüge?
Aurélie Dupont: Ich liebe die Herausforderung, ich liebe es, Geschichten zu erzählen, jedes Mal anders zu sein, mich zu verwandeln, mich zu verkleiden. Ich habe mehrere Leben, mehrere Verlobte, jedes Mal erzähle ich eine Geschichte mit einem Partner für einen Abend, das liebe ich. Ich denke, das wird mir später fehlen.
Was haben Sie noch für Interessen neben dem Tanz? Haben Sie andere Leidenschaften?
Aurélie Dupont: Außer meinen Kindern, meiner Familie und meinen Freunden habe ich eine Leidenschaft für alle manuellen Arbeiten. Ich habe eine Schmuckkollektion für den Laden der Pariser Oper entworfen. Es waren zwei Kollektionen, Kopfschmuck für Kinder und für Erwachsene. Ich wollte, dass sie zu meinem Beruf passen, also habe ich als Materialien Wolle, Leder, Bänder, Gummi, Strass verwendet, die man alle in unserem Beruf braucht. Alles waren Unikate. Inzwischen wurde die ganze Kollektion verkauft, aber ich hoffe, bald eine neue herstellen zu können. Das erfordert viel Zeit, weil man erst einmal die Idee haben und sie dann ausführen muss. Ich habe ganz allein ungefähr hundert Stücke von Hand angefertigt, das war viel Arbeit, aber es war während meiner Schwangerschaft. Jetzt habe ich weniger Zeit, weil ich in der Pariser Oper und zuhause viel zu tun habe, aber ich habe mein Atelier in meiner Loge und wenn ich ein wenig Zeit habe, fertige ich ein paar Stücke an. Ich bin eine ziemliche Einzelgängerin und liebe es, ganz alleine zu arbeiten – ich male gerne, zeichne, repariere Möbel.
Gibt es in Ihrer Tänzerkarriere Dinge, die Sie noch nicht gemacht haben oder Leute, mit denen Sie noch arbeiten wollen?
Aurélie Dupont: Ich würde sehr gerne mit Paul Lightfoot arbeiten. Wir haben uns kennengelernt und wollten immer ein Stück zusammen machen, aber bisher hatten wir noch nicht die Gelegenheit dazu. Da wir in der Pariser Oper sehr beschäftigt sind und nicht viel Freiheit haben, zu gastieren, wann es uns passt, sind manche Begegnungen nicht zustande gekommen – das ist schade.
Ansonsten hätte ich sehr gerne „Die Kameliendame“ mit Marcia Haydée einstudiert. Ich weiß nicht, warum sie nie gekommen ist, um die Stücke einzustudieren, die für sie kreiert wurden und in denen sie unglaublich war.
Dafür freue ich mich sehr, dass es nächste Spielzeit eine Uraufführung von Sidi Larbi Cherkaoui geben wird, bei der ich wahrscheinlich mitmachen werde. Ich liebe diesen Choreografen und kann es kaum erwarten, mit ihm zu arbeiten!
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